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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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verbrannten Haar schrie auf. »Mein Schwesterchen!«
    Daisy drückte ihr das Kleinkind in die Arme und eilte zurück ins Haus.
    Die bewusstlose Frau war zu schwer, als dass Daisy sie hochheben konnte. Mit aller Kraft richtete sie die Frau in eine sitzende Haltung auf, schob die Arme unter den Achseln der Bewusstlosen hindurch und zerrte sie über den Küchenboden und durch den Hausflur auf die Straße.
    Inzwischen war ein Rettungswagen eingetroffen, eine umgebaute Limousine, deren Karosserie im hinteren Teil durch eineDrillichplane mit Hecköffnung ersetzt worden war. Der Luftschutzwart half dem Mädchen mit den Kopfverbrennungen ins Fahrzeug. Der Fahrer kam zu Daisy. Gemeinsam hoben sie die Mutter in den Rettungswagen.
    »Ist sonst noch jemand im Haus?«, fragte der Fahrer.
    »Das weiß ich nicht!«, antwortete Daisy.
    Der Fahrer rannte in den Flur. In diesem Augenblick brach das Gebäude in sich zusammen. Die brennenden Obergeschosse stürzten donnernd ins Parterre. Funken stoben meterhoch. Der Fahrer verschwand in dem flammenden Inferno.
    Daisy hörte, wie sie aufschrie.
    Sie schlug die Hand vor den Mund, starrte in die Flammen und suchte nach dem Fahrer, auch wenn sie ihm ohnehin nicht mehr helfen konnte. Allein der Versuch wäre Selbstmord gewesen.
    »Mein Gott«, stieß der Luftschutzwart hervor. »Alf ist tot. Jetzt habe ich keinen Fahrer, und ich darf hier nicht weg.« Er blickte die Straße hinunter. Anwohner standen in kleinen Gruppen vor den Häusern, aber die meisten hielten sich wahrscheinlich in den Luftschutzkellern auf.
    »Ich übernehme das«, sagte Daisy. »Wohin muss ich?«
    »Sie können fahren?«, fragte der Luftschutzwart erstaunt.
    Die meisten Britinnen konnten nicht Auto fahren; das galt in diesem Land noch als Männersache. »Fragen Sie nicht so dumm«, entgegnete Daisy. »Wohin soll die Ambulanz?«
    »Nach Saint Bart’s. Wissen Sie, wo das ist?«
    »Natürlich.« St. Bartholomew’s gehörte zu den größten Krankenhäusern Londons, der Stadt, in der Daisy nun seit vier Jahren lebte. »West Smithfield«, fügte sie hinzu, damit der Mann ihr glaubte.
    »Ja. Die Notaufnahme ist hinten.«
    »Ich finde sie schon.« Daisy setzte sich hinter das Lenkrad. Der Motor lief noch.
    Der Luftschutzwart rief: »Wie heißen Sie eigentlich?«
    »Daisy Fitzherbert.«
    »Ich bin Nobby Clarke. Passen Sie gut auf meinen Krankenwagen auf.«
    Der Wagen hatte eine normale Handschaltung mit Kupplung. Daisy legte den ersten Gang ein und fuhr los.
    Die Maschinen der deutschen Luftwaffe zogen weiterhin über die Stadt hinweg und warfen ihre Bombenlast ab. Daisy wollte die Verletzten schnellstmöglich zum Krankenhaus bringen, und St. Bart’s war höchstens eine Meile entfernt, aber die Fahrt gestaltete sich schwierig. Daisy fuhr die Leadenhall Street entlang, die Poultry und die Cheapside, aber mehrmals war die Fahrbahn blockiert, und sie musste zurücksetzen und sich einen anderen Weg suchen. Auf jeder Straße schien mindestens ein Haus in Trümmern zu liegen. Überall waren Rauch, Schutt und Flammen; Menschen bluteten und schrien.
    Als sie das Krankenhaus erreichte, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Sie folgte einem anderen Rettungswagen zur Notaufnahme, wo hektische Betriebsamkeit herrschte: Ein Dutzend Krankentransporter gaben Patienten mit Verbrennungen und zerschmetterten Gliedmaßen in die Obhut flinker Krankenträger mit blutigen Schurzen.
    Vielleicht habe ich die Mutter der beiden Mädchen gerettet, dachte Daisy. Auch wenn mein Mann mich nicht will – völlig nutzlos bin ich nicht.
    Das Mädchen, dessen Haare verbrannt waren, trug noch immer seine kleine Schwester im Arm. Daisy half beiden aus dem Rettungswagen.
    Eine Krankenschwester trug gemeinsam mit Daisy die bewusstlose Mutter ins Gebäude.
    Zu ihrem Entsetzen sah Daisy, dass die Frau nicht mehr atmete.
    »Die Mädchen sind ihre Kinder«, sagte sie zur Krankenschwester und bemerkte, dass ihre Stimme zu kippen drohte. »Was wird jetzt aus ihnen?«
    »Ich kümmere mich darum«, erwiderte die Schwester forsch. »Sie fahren zurück.«
    »Muss ich?«, fragte Daisy.
    »Reißen Sie sich zusammen«, sagte die Schwester. »Ehe der Tag zu Ende geht, wird es hier noch viele Tote und Verletzte geben.«
    Am ganzen Körper zitternd setzte Daisy sich hinters Lenkrad und fuhr zurück zu Nobby Clarke.

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