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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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unten.
    Marcelle klopfte dem Baby sanft auf den Rücken, damit es ein Bäuerchen machte. »Er braucht noch eine Kopfbedeckung«, sagte sie.
    Maurice nickte, verschwand im Flur und kam mit einem französischen Barett zurück. Lloyd setzte es auf.
    Dann schaute Maurice nachdenklich auf Lloyds schwarze Armeestiefel. Sie waren verstaubt, aber von sichtlich guter Qualität. »Die Stiefel könnten Sie verraten«, sagte Maurice.
    Lloyd sah ein, dass der Franzose recht hatte, wollte auf die Stiefel aber nicht verzichten; schließlich hatte er einen langen Marsch vor sich. »Vielleicht könnte man sie älter aussehen lassen«, meinte er.
    Maurice schaute ihn zweifelnd an. »Und wie?«
    »Haben Sie ein scharfes Messer?«
    Maurice holte ein Klappmesser aus der Tasche.
    Lloyd zog die Stiefel aus, schnitt an den Zehen Löcher hinein und schlitzte die Fersen auf. Dann zog er die Schnürsenkel heraus und fädelte sie kreuz und quer wieder ein. Tatsächlich sahen die Stiefel jetzt alt und abgetreten aus, passten aber immer noch hervorragend, und die dicken Sohlen würden viele Meilen überstehen.
    »Wo wollen Sie jetzt hin?«, fragte Maurice.
    »Ich habe zwei Möglichkeiten«, antwortete Lloyd. »Ich kann nach Norden zur Küste gehen. Vielleicht kann ich einen Fischer überreden, mich über den Kanal zu bringen. Oder ich gehe nach Südwesten über die spanische Grenze.« Spanien war neutral, und in den Großstädten gab es noch immer britische Konsularbeamte. »Den Weg nach Spanien kenne ich. Ich bin ihn schon zweimal gegangen.«
    »Der Kanal ist wesentlich näher als Spanien«, sagte Maurice. »Aber ich fürchte, die Deutschen haben inzwischen sämtliche großen und kleinen Häfen gesperrt.«
    »Wo ist die Front?«
    »Die Deutschen haben Paris eingenommen.«
    Lloyd war schockiert. Paris war bereits gefallen?
    »Die französische Regierung ist nach Bordeaux geflohen.« Maurice zuckte mit den Schultern. »Wir sind besiegt. Nichts und niemand kann Frankreich mehr retten.«
    »Und ganz Europa ist faschistisch«, sagte Lloyd leise.
    »Bis auf Großbritannien«, erwiderte Maurice. »Deshalb müssen Sie dorthin zurück.«
    Lloyd dachte nach. Norden oder Südwesten? Er konnte sich nicht entscheiden.
    »Ich habe einen Freund«, sagte Maurice, »einen ehemaligen Kommunisten, der den Bauern Viehfutter verkauft. Zufällig weiß ich, dass er heute Nachmittag südwestlich von hier eine Lieferung hat. Wenn Sie nach Spanien wollen, könnte er Sie zwanzig Meilen weit mitnehmen.«
    Das machte Lloyd die Entscheidung leicht. »Ich fahre mit«, sagte er.

    Eine lange Reise hatte Daisy in einem Kreis an ihren Ausgangspunkt zurückgebracht.
    Es hatte ihr das Herz gebrochen, als Lloyd nach Frankreich geschickt worden war. Sie hatte die Gelegenheit verpasst, ihm ihre Liebe zu gestehen, hatte ihn nicht einmal zum Abschied geküsst.
    Jetzt kam diese Gelegenheit vielleicht nie wieder. Seit der Schlacht von Dünkirchen wurde Lloyd vermisst: Seine Leiche war weder gefunden noch identifiziert worden, und er war auch nicht als Kriegsgefangener registriert. Wahrscheinlich hatte ihn eine Granate in Fetzen gerissen, oder er lag irgendwo zerschmettert und unentdeckt unter den Trümmern eines zerbombten Bauernhauses.
    Daisy verbrachte einen Monat voller Trauer auf Tŷ Gwyn, in der ständigen Hoffnung, doch noch von Lloyd zu hören, aber es kamen keine Neuigkeiten. Dann gesellte sich das schlechte Gewissen zu Daisys Schmerz. Es gab zahllose Frauen, denen es genauso erging wie ihr; manche mussten noch viel Schlimmeres erdulden. Viele hatten ihren Ehemann verloren und mussten ganz alleinezwei, drei Kinder durchbringen. Daisy erkannte, dass sie kein Recht auf Selbstmitleid hatte, bloß weil der Mann, mit dem sie Ehebruch hatte begehen wollen, auf einer Vermisstenliste stand.
    Sie musste sich zusammenreißen und etwas Sinnvolles tun. Das Schicksal hatte nicht gewollt, dass sie mit Lloyd zusammenkam – fertig, aus. Damit musste sie sich abfinden. Außerdem war sie verheiratet, und ihr Ehemann setzte jeden Tag sein Leben aufs Spiel. Es war ihre Pflicht, für Boy da zu sein.
    Daisy kehrte nach London zurück. Mithilfe der wenigen Dienstboten, die ihr geblieben waren, gestaltete sie die Villa in Mayfair zu einem angenehmen Zuhause für Boy um. Er sollte sich wohlfühlen, wenn er Urlaub bekam. Sie musste Lloyd vergessen und Boy eine gute Ehefrau sein. Vielleicht wurde sie sogar noch einmal schwanger.
    In diesen Tagen und Wochen meldeten sich viele Frauen für

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