Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
hatte auch seine Stahluhr mit dem quadratischen Ziffernblatt verschwinden müssen, die Bernie ihm zum Schulabschluss geschenkt hatte. Leider hatte Lloyd sie keinem der vielen Franzosen geben können, die ihm auf der Flucht geholfen hatten, denn eine britische Uhr hätte auch sie in Schwierigkeiten bringen können. So hatte er sie schweren Herzens in einen Teich geworfen.
Lloyds größter Schwachpunkt aber war, dass er keine Papiere besaß.
Er hatte versucht, einem Mann, der ihm ein wenig ähnlich sah, den Ausweis abzukaufen; als nichts daraus wurde, war er bei zwei, drei Gelegenheiten drauf und dran gewesen, sich Papiere zu stehlen; aber die Leute waren extrem vorsichtig, was das betraf. Deshalb versuchte Lloyd Situationen zu meiden, in denen man ihn nach Papieren hätte fragen können, und bis jetzt war es gut gegangen. Er bemühte sich, so unauffällig wie möglich zu sein, ging lieber über Felder als über Straßen, wenn er die Wahl hatte, und fuhr nie mit Reisezügen, weil an Bahnhöfen häufig kontrolliert wurde. Bis jetzt hatte er Glück gehabt. Nur einmal hatte ein Dorfpolizist ihn nach seinen Papieren gefragt, doch als Lloyd ihm erklärt hatte, man habe sie ihm gestohlen, nachdem er sich in einer Bar in Marseille betrunken hatte, hatte der Mann ihn ziehen lassen.
Dann aber endete Lloyds Glücksträhne.
Er kam durch eine arme ländliche Gegend in den Ausläufern der Pyrenäen, nahe am Mittelmeer. Eine staubige Straße führte an schäbigen Bauernhöfen vorbei und durch ärmliche Dörfer. Die Landschaft war dünn besiedelt. Zu seiner Linken, zwischen den Hügeln, konnte er das blaue Schimmern des fernen Meeres sehen.
Den mit drei Gendarmen besetzten grünen Citroën, der neben ihm hielt, hätte Lloyd hier am wenigsten erwartet.
Alles ging sehr schnell. Lloyd hörte den Wagen näher kommen – es war das erste Fahrzeug, seit der fette Lastwagenfahrer ihn abgesetzt hatte –, schlurfte aber weiter wie ein müder Arbeiter auf dem Heimweg. Zu beiden Seiten der Straße befanden sich spärlich bewachsene, staubtrockene Felder, auf denen nur hier und da ein verdorrter Baum zu sehen war. Als der Wagen hielt, dachte Lloydkurz darüber nach, über die Felder zu fliehen. Doch er verwarf die Idee rasch wieder, als er die Pistolen an den Gürteln der beiden Gendarmen sah, die aus dem Auto sprangen. Wahrscheinlich waren sie keine allzu guten Schützen, doch Lloyd hielt es für sinnvoller, sein Glück nicht auf die Probe zu stellen. Er war besser beraten, wenn er versuchte, sich herauszureden. Schließlich hatte er es mit Landgendarmen zu tun, die im Allgemeinen freundlicher waren als die harten Hunde in den französischen Großstädten.
»Die Papiere«, verlangte einer der Gendarmen auf Französisch.
Lloyd breitete in einer hilflosen Geste die Arme aus. »Leider wurden mir die Papiere in Marseille gestohlen, Monsieur. Ich bin Leandro, ein spanischer Maurer, und ich …«
»Steig ein.«
Lloyd zögerte, aber es war hoffnungslos. Die Chancen für ein Entkommen standen schlechter als je zuvor.
Einer der Männer packte ihn am Arm, schob ihn auf die Rückbank und setzte sich neben ihn.
Als der Wagen losfuhr, verließ Lloyd der Mut.
Der Gendarm neben ihm fragte: »Bist du Engländer?«
»Ich bin ein spanischer Maurer. Mein Name …«
Der Gendarm winkte ab. »Das kannst du dir sparen.«
Lloyd musste einsehen, dass er viel zu optimistisch gewesen war. Er war ein Fremder ohne Papiere, der sich auf dem Weg zur spanischen Grenze befand, und nun vermuteten die Gendarmen zutreffend, dass er ein britischer Soldat auf der Flucht war. Sollten sie noch Zweifel haben, würden diese sich zerstreuen, wenn sie die Erkennungsmarke sahen, die Lloyd um den Hals trug. Er hatte sie nicht weggeworfen, weil man ihn ohne die Marke ohne viel Aufhebens als Spion erschossen hätte.
Und jetzt saß er in einem Auto mit drei bewaffneten Gendarmen, ohne jede Chance auf eine Flucht.
Sie fuhren in die Richtung, in die Lloyd unterwegs gewesen war, während rechts von ihnen die Sonne über den Bergen unterging. Bis zur Grenze gab es keine größere Stadt mehr; deshalb vermutete Lloyd, dass man ihn über Nacht in ein Dorfgefängnis sperren würde. Vielleicht konnte er von dort fliehen. Sollte ihm das nicht gelingen, würden sie ihn morgen nach Perpignan verfrachten und der Stadtpolizei übergeben. Und was dann? Würdeman ihn verhören? Allein die Vorstellung ließ Lloyd schaudern. Die französische Polizei würde ihn zusammenschlagen, und die
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