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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Haben Sie schon an das Krankenhaus geschrieben?«
    »Ja. Ich hatte angefragt, wann unsere Zofe ihren Sohn besuchen könne«, antwortete Carla. »Sie haben nie geantwortet.«
    »Mein Vater hat heute Morgen mit der Klinik telefoniert«, erklärte Werner. »Der Chefarzt hat einfach den Hörer aufgelegt.«
    Gottfried schüttelte missbilligend den Kopf. »Unfassbar. Aber wissen Sie, das ist nicht das Problem des Außenministeriums.«
    Werner beugte sich vor. »Könnte es sein, Herr von Kessel, dass die Jungen einem geheimen Experiment unterzogen wurden, bei dem etwas schiefgegangen ist?«
    Gottfried lehnte sich zurück. »Das halte ich für unmöglich«, antwortete er. Carla hatte das Gefühl, dass er die Wahrheit sagte. »Nein, so etwas kann ich mir nicht vorstellen, nie und nimmer.«
    Werner machte einen erleichterten Eindruck und schien keine Fragen mehr zu haben, doch Carla war noch lange nicht zufrieden. Warum beteuerte von Kessel so vehement, so etwas könne unmöglich geschehen sein? Lag es daran, dass er etwas noch viel Schlimmeres verschwieg?
    Plötzlich kam Carla ein schrecklicher, schier unerträglicher Gedanke.
    »Nun, wenn das alles ist …«, sagte Gottfried.
    »Sie sind sich also vollkommen sicher, dass die beiden Jungen nicht durch eine experimentelle Therapie ungekommen sind?«, fragte Carla.
    »Absolut.«
    »Dann wissen Sie sicher auch, was in Akelberg wirklich geschieht.«
    »Was meinen Sie damit?« Mit einem Mal war Gottfrieds Anspannung zurück. Carla erkannte, dass sie auf dem richtigen Weg war.
    »Ich erinnere mich an ein Nazi-Plakat …«, fuhr sie fort. Diese Erinnerung hatte den schrecklichen Gedanken in ihr geweckt. »Es war das Bild eines Krankenpflegers und eines geistig behinderten Mannes. Der Text lautete in etwa: ›Die Erbkrankheit dieser Person, solange sie lebt, kostet die Volksgemeinschaft sechzigtausend Reichsmark. Volksgenossen, das ist auch euer Geld.‹ Ich glaube, es war eine Annonce in einer Zeitschrift.«
    »Ich habe solche Propaganda auch schon gesehen«, erwiderte Gottfried abschätzig, als hätte das nichts mit ihm zu tun.
    Carla stand auf. »Sie sind Katholik, und Sie haben Heinrich im katholischen Glauben erzogen.«
    Gottfried schnaubte verächtlich. »Heinrich bezeichnet sich als Atheist.«
    »Sie aber nicht«, erwiderte Carla. »Für Sie ist das Leben heilig.«
    »Ja.«
    »Wenn Sie sagen, dass die Ärzte in Akelberg keine gefährlichen neuen Therapien an ihren Patienten ausprobieren, dann glaube ich Ihnen.«
    »Danke.«
    »Aber tun die Ärzte in dieser Klinik vielleicht etwas anderes? Etwas viel Schlimmeres?«
    »Nein, nein, nein.«
    » Ermorden sie die Behinderten?«
    Gottfried schüttelte stumm den Kopf.
    Carla rückte näher an ihn heran und senkte die Stimme, als wären sie allein im Zimmer. »Würden Sie als Katholik, der an dieHeiligkeit des Lebens glaubt, die Hand aufs Herz legen und mir schwören, dass in Akelberg keine geistig behinderten Kinder ermordet werden?«
    Gottfried lächelte, machte eine beruhigende Geste und öffnete den Mund, brachte aber kein Wort hervor.
    Carla kniete sich vor ihn auf den Teppich und sagte beschwörend: »Hier in Ihrem Haus sind vier junge Deutsche, Ihr Sohn und drei seiner Freunde. Sagen Sie uns die Wahrheit. Schauen Sie mir in die Augen, und sagen Sie mir, dass unsere Regierung keine behinderten Kinder ermordet.«
    Die Stille im Zimmer war vollkommen. Gottfried schien etwas sagen zu wollen, änderte dann aber seine Meinung. Er kniff die Augen zu, verzog das Gesicht und senkte den Kopf. Die vier jungen Leute beobachteten ihn erstaunt.
    Schließlich öffnete Gottfried wieder die Augen, schaute Carla und die anderen der Reihe nach an und richtete den Blick auf seinen Sohn.
    Dann stand er auf und verließ das Zimmer.

    Am Tag darauf sagte Werner zu Carla: »Das ist furchtbar. Wir reden jetzt schon vierundzwanzig Stunden über nichts anderes mehr. Wir brauchen Ablenkung, sonst drehen wir noch durch. Lass uns ins Kino gehen.«
    Sie gingen zum Kurfürstendamm mit seinen Theatern und Geschäften. Viele der besten deutschen Regisseure waren schon vor Jahren nach Hollywood gegangen; jetzt waren die meisten Filme aus deutscher Produktion nur noch zweitklassig. Sie schauten sich Die drei Soldaten an, der während der Invasion Frankreichs spielte.
    Bei den drei Soldaten handelte es sich um einen knallharten Nazi-Unteroffizier, einen Jammerlappen, der sich ständig beschwerte und ein wenig jüdisch aussah, und um einen ernsten jungen Mann, der

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