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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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er noch ein kleiner Junge gewesen war. Außerdem war er ein Kirchenmann, die normalerweise nicht so behandelt wurden, nicht einmal von der Polizei. Doch die Nazis ignorierten solche Konventionen.
    »Das ist eine Unverschämtheit!«, brachte Ochs schließlich hervor, doch er gehorchte und setzte sich.
    Draußen erhob eine Frau ihre Stimme zum Protest, vermutlich Ochs’ Ehefrau. Der Pastor wurde bleich, als er sie hörte, und stand auf.
    Macke drückte ihn auf den Stuhl zurück. »Bleiben Sie, wo Sie sind.«
    Ochs war ein kräftiger Mann und größer als Macke, doch er widersetzte sich nicht.
    Macke genoss die Situation. Er liebte es, wie dieser aufgeblasene Pfaffe vor Furcht in sich zusammenfiel.
    »Wer sind Sie?«, wollte Ochs wissen.
    Diese Frage beantwortete Macke keinem seiner Opfer. Sicher, sie konnten raten, aber es erzeugte mehr Angst, wenn man sie im Ungewissen ließ. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass hinterher jemand Fragen stellte, würden alle Beteiligten schwören, sie hätten sich wie vorgeschrieben mit Namen und Dienstmarke ausgewiesen.
    Macke ging aus dem Zimmer. Seine Männer scheuchten soeben mehrere Kinder in den Salon. Macke befahl Reinhold Wagner, ins Arbeitszimmer zu gehen und Ochs dort festzuhalten. Dann folgte er den Kindern in den anderen Raum.
    Die Vorhänge im Salon reichten bis auf den Boden; auf dem Kaminsims standen Familienfotos, und die bequemen Stühle waren mit kariertem Stoff bezogen. Es war ein nettes Heim und eine nette Familie. Warum konnten sie dem Reich, dem Volk und dem Führer nicht treu ergeben sein und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern?
    Die Zofe stand am Fenster, die Hand vor den Mund geschlagen, als wollte sie sich am Schreien hindern. Vier Kinder drängten sich um Ochs’ Gattin, eine schlichte, vollbusige Frau Mitte dreißig. Sie trug ein fünftes Kind auf dem Arm, ein blond gelocktes Mädchen von ungefähr zwei Jahren.
    Macke tätschelte dem Kind den Kopf. »Wie heißt die Kleine?«, fragte er.
    Frau Ochs hatte furchtbare Angst. Sie flüsterte: »Lieselotte. Was wollen Sie von uns?«
    »Komm zu Onkel Thomas, Lieselotte«, sagte Macke und streckte die Arme aus.
    »Nein!«, schrie Frau Ochs, drückte das Kind an sich und drehte sich weg.
    Das kleine Mädchen brach in Tränen aus.
    Macke nickte Klaus Richter zu.
    Richter packte Frau Ochs von hinten, zog ihre Arme zurück und zwang sie so, ihre kleine Tochter loszulassen. Macke schnappte das Mädchen, bevor es auf den Boden fallen konnte. Lieselotte wand sich wie ein Fisch, doch Macke verstärkte seinen Griff und hielt sie fest wie eine Katze. Sie jammerte und schrie.
    Ein Junge von vielleicht dreizehn Jahren stürzte sich auf Macke und schlug wirkungslos mit seinen kleinen Fäusten auf ihn ein. Macke beschloss, dem Knaben ein wenig Respekt beizubringen. Er setzte Lieselotte auf seine linke Hüfte, packte den Jungen mit der rechten Hand und schleuderte ihn durchs Zimmer, wobei er darauf achtete, dass das Kind gegen einen der weichen Polsterstühle prallte. Der Junge schrie vor Angst, und seine Mutter kreischte. Der Stuhl kippte nach hinten um, und der Junge fiel zu Boden. Er war nicht ernsthaft verletzt, brach aber in Tränen aus.
    Macke trug Lieselotte in den Flur. Sie schrie aus vollem Halse nach ihrer Mutter. Als Macke sie absetzte, rannte sie zur Salontür, trommelte mit den kleinen Fäusten dagegen und schrie und weinte herzerweichend. Macke sah, dass sie noch nicht gelernt hatte, die Türklinke zu drücken.
    Er ließ das Kind im Flur und ging wieder ins Arbeitszimmer. Wagner hielt an der Tür Wache. Ochs stand mitten im Zimmer, bleich vor Angst. »Was tun Sie mit meinen Kindern?«, fragte er atemlos. »Warum schreit Lieselotte?«
    »Sie werden einen Brief schreiben«, sagte Macke.
    »Ja, ja, alles, was Sie wollen.« Ochs ging zu seinem Schreibtisch.
    »Nicht jetzt. Später.«
    »Jawohl.«
    Wieder genoss Macke die Situation in vollen Zügen. Im Gegensatz zu Werner Franck war Ochs vollkommen zusammengebrochen. »Einen Brief an den Justizminister.«
    »Ja … ich verstehe.«
    »In diesem Brief werden Sie erklären, inzwischen erkannt zu haben, dass die Vorwürfe, die Sie in Ihrem ersten Brief erhoben haben, nicht der Wahrheit entsprechen. Sie sind von Volksfeinden in die Irre geleitet worden, von Kommunisten, die im Untergrund tätig sind. Sie werden sich beim Minister für den Ärger entschuldigen, den Sie durch Ihre voreilige Handlungsweise verursacht haben, und ihm versichern, dass Sie in dieser

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