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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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einer zwar degenerierten, aber liberalen Demokratie zu leben?
    Macke wusste, worüber Ochs sich beschwerte. Das Programm lief unter der Bezeichnung »Aktion T4«, nach der Adresse der zuständigen Behörde in der Tiergartenstraße 4. Offiziell in mehrere selbstständige Unterorganisationen wie der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten unterteilt, unterstand in Wahrheit alles direkt der Reichskanzlei. Aufgabe der Behörde war es, den schmerzlosen Tod Behinderter zu organisieren, die ohne kostenintensive Pflege nicht leben konnten. Bereits seit über einem Jahr leistete man dort gute Arbeit und hatte »unwertes Leben« zehntausendfach vernichtet.
    Das Problem war nur, dass die öffentliche Meinung in Deutschland noch nicht weit genug entwickelt war, um die Notwendigkeit dieser Tötungen zu verstehen; also hielt man das Programm geheim.
    Doch Macke kannte das Geheimnis. Schließlich war er inzwischen zum Kommissar befördert und im Rang eines Hauptsturmführers in die SS aufgenommen worden. Als er dem Fall Ochs zugeteilt worden war, hatte man ihn über die Aktion T4 informiert, was Macke noch immer mit Stolz erfüllte. Jetzt zählte er offiziell zu den Eingeweihten.
    Unglücklicherweise waren einige Leute unvorsichtig gewesen, und nun bestand die Gefahr, dass das Geheimnis der Aktion T4 an die Öffentlichkeit drang.
    Es war Mackes Aufgabe, das Leck zu stopfen.
    Erste Nachforschungen hatten ergeben, dass drei Männer zum Schweigen gebracht werden mussten: Pastor Ochs, Walter von Ulrich und Werner Franck.
    Franck war der älteste Sohn eines Radiofabrikanten und wichtigen Unterstützers der Nationalsozialisten in ihren Anfangsjahren. Der Fabrikant selbst, Ludwig Franck, hatte zuerst vehement Aufklärung über den Tod seines behinderten jüngeren Sohnes Axel verlangt, war aber sofort verstummt, als man ihm mit der Schließung seiner Fabriken gedroht hatte. Sein Sohn Werner hingegen, ein junger, aufstrebender Offizier im Luftfahrtministerium, hatte weiterhin peinliche Fragen gestellt und sogar versucht, seinen Vorgesetzten, General Dorn, in die Sache hineinzuziehen.
    Das Luftfahrtministerium, von dem es hieß, es sei das größte Bürogebäude Europas, war ein modernes Bauwerk, das einen gesamten Block an der Wilhelmstraße einnahm; gleich um die Ecke lag die Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße. Macke ging zu Fuß dorthin.
    In seiner SS -Uniform konnte er die Wachen ignorieren. Am Empfang verlangte er schroff: »Bringen Sie mich zu Oberleutnant Werner Franck. Sofort.«
    Der Unteroffizier vom Empfang fuhr mit ihm im Aufzug hinauf, führte ihn durch einen Flur und zur offenen Tür eines kleinen Büros. Der junge Mann am Schreibtisch blickte zunächst nicht von den Papieren hoch, die er vor sich liegen hatte. Macke musterteihn. Der junge Bursche war Anfang zwanzig. Warum war er dann nicht an der Front und half bei der Bombardierung Englands? Vermutlich hat der Herr Vater ein paar Fäden gezogen, dachte Macke verächtlich. Werner Franck sah ganz wie der Sprössling einer privilegierten Familie aus: maßgeschneiderte Uniform, Goldringe und überlanges, unsoldatisches Haar. Macke verabscheute ihn auf Anhieb.
    Werner schrieb eine Notiz und hob dann den Blick. Der freundliche Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand, als er die SS -Uniform sah, und Macke registrierte zufrieden einen Hauch von Furcht in den Augen des jungen Mannes. Werner versuchte, seine Angst mit demonstrativer Jovialität zu verbergen. Er stand auf und lächelte zur Begrüßung, doch Macke ließ sich nicht zum Narren halten.
    »Guten Tag, Hauptsturmführer«, sagte Werner. »Bitte, setzen Sie sich.«
    »Heil Hitler«, sagte Macke.
    »Heil Hitler. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Indem Sie erst einmal den Mund halten, Sie dummer Junge«, spie Macke hervor.
    Werner bemühte sich, seine Angst zu verbergen. »Meine Güte, womit habe ich mir denn solchen Zorn verdient?«
    »Wagen Sie es ja nicht, meine Autorität infrage zu stellen. Sie reden nur, wenn Sie gefragt werden.«
    »Wie Sie wünschen.«
    »Ab sofort werden Sie keine Fragen mehr zu Ihrem Bruder Axel stellen.«
    Erstaunt sah Macke, dass ein Ausdruck der Erleichterung über Werners Gesicht huschte. Für einen Moment war Macke verwirrt. Hatte der Junge vor etwas anderem Angst gehabt? Vor etwas Schlimmerem als dem simplen Befehl, keine Fragen mehr zu seinem Bruder zu stellen? War er vielleicht in subversive Aktivitäten verwickelt?
    Nein, sicher nicht, sagte Macke sich nach kurzem

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