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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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kleine Mädchen Wolodja ihre Puppe entgegen.
    Zoja Worotsyntsow war ebenfalls da, die umwerfend schöne Physikerin, die Wolodja zum letzten Mal vor vier Jahren gesehen hatte, kurz bevor er nach Spanien gegangen war. Zoja und Anja verband ein gemeinsames Interesse an russischer Volksmusik. Sie besuchten zusammen Konzerte, und Zoja spielte die Gudok, ein dreisaitiges, traditionelles Streichinstrument. Weder Zoja noch Anja konnte sich einen Plattenspieler leisten, doch Grigori besaß einen; deshalb hörten die beiden sich gerade die Aufnahme eines Balalaikaorchesters an.
    Zoja trug ein kurzärmeliges Sommerkleid, das so blassblau war wie ihre Augen. Als Wolodja sich höflich erkundigte, wie es ihr gehe, antwortete sie knapp: »Ich bin wütend.«
    »Warum?«, fragte Wolodja.
    »Man hat mir die Forschungsmittel gestrichen. Sämtliche Wissenschaftler sind neuen Projekten zugeteilt worden. Ich selbst arbeite jetzt an der Verbesserung von Bombenzielgeräten.«
    Das erschien Wolodja sehr vernünftig. »Wir sind ja auch im Krieg«, bemerkte er.
    »Du verstehst das nicht«, sagte Zoja. »Hör zu: Wenn es bei Uran zur Kernspaltung kommt, wird eine schier unglaubliche Energie freigesetzt. Gigantisch. Das wissen wir, und die westlichen Wissenschaftler wissen es auch. Wir haben ihre Aufsätze in den Fachzeitschriften gelesen.«
    »Trotzdem, Bombenzielgeräte sind im Augenblick wohl wichtiger.«
    »Unsinn.« Zoja schüttelte den Kopf. »Den Prozess, von dem ich rede, die Kernspaltung, könnte man sich bei der Entwicklung von Bomben zunutze machen, deren Sprengkraft hundert Mal größer ist als alles, was es bisher gibt. Was, wenn die Deutschen solch eine Bombe bauen und wir nicht? Das wäre so, als hätten sie Gewehre, während wir nur mit Speeren bewaffnet sind.«
    Skeptisch erwiderte Wolodja: »Besteht denn Grund zu der Annahme, dass Wissenschaftler in anderen Ländern an so einer Bombe arbeiten?«
    »Wir sind sogar sicher. Wenn man die zugrunde liegende Theorie der Kernspaltung konsequent verfolgt, kommt man von selbst auf das Konzept einer Bombe. So war es jedenfalls bei uns. Warum sollte es bei ausländischen Wissenschaftlern anders sein? Aber es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb wir das wissen. Im Westen haben die Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse stets in Fachzeitschriften publiziert. Vor einem Jahr haben sie plötzlich damit aufgehört. Es gibt keine Abhandlungen mehr über Kernphysik.«
    »Und jetzt glaubt ihr, die Politiker und Generäle im Westen hätten das militärische Potenzial dieser Forschung erkannt?«
    »Eine andere Erklärung fällt mir nicht ein. Trotzdem haben wir hier in der Sowjetunion noch nicht einmal damit begonnen, Uran abzubauen.«
    »Hmmm.« Wolodja tat so, als zweifele er nicht an Zojas Worten, doch in Wahrheit kam ihm das alles wenig glaubwürdig vor. Selbst Stalins größte Bewunderer – zu denen auch Wolodjas Vater gehörte – behaupteten nicht, er verstehe etwas von Naturwissenschaften. Und für einen Autokraten war es einfach, alles zu ignorieren, was ihm irgendwie unangenehm war.
    »Ich habe das auch deinem Vater gesagt«, fuhr Zoja fort. »Er hat mir zugehört, aber auf ihn hört niemand.«
    »Was willst du jetzt tun?«
    »Was kann ich denn tun? Ich werde ein verdammt gutes Bombenzielgerät für unsere Piloten bauen und das Beste hoffen.«
    Wolodja nickte. Ihm gefiel diese Einstellung. Ihm gefiel diese junge Frau. Sie war klug und selbstbewusst und vor allem wunderschön. Er fragte sich, ob sie wohl mit ihm ins Kino gehen würde.
    Das Thema Physik erinnerte ihn an Willi Frunze, mit dem erauf der Schule in Berlin, dem Leopold-von-Ranke-Gymnasium, befreundet gewesen war. Werner Franck zufolge war Willi inzwischen ein brillanter Physiker und lebte in England. Er wusste vielleicht auch von der Uranbombe, wegen der Zoja sich so sehr aufregte. Und wenn er immer noch Kommunist war, würde er sein Wissen möglicherweise an die Sowjetunion weitergeben. Wolodja nahm sich vor, dem Vertreter der GRU in London ein entsprechendes Telegramm zu schicken.
    Seine Eltern kamen herein. Grigori trug seine Ausgehuniform, Katherina einen Mantel und Hut. Sie waren bei einer dieser endlosen Zeremonien gewesen, die die Armee so sehr liebte. Stalin hatte darauf bestanden, dass diese Rituale trotz der deutschen Invasion fortgesetzt wurden. Das sei gut für die Moral, hatte er erklärt.
    Ein paar Minuten beschäftigten sie sich mit den Zwillingen, doch Grigori wirkte abgelenkt. Er murmelte etwas von einem

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