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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und langer Haft.
    Doch Carla redete sich ein, dass sie bereit sei, dieses Risiko einzugehen.
    Nur konnte sie nicht akzeptieren, dass sie dadurch das Leben ihres Bruders gefährdete.
    Erik war an der Ostfront; das hatte Leutnant Koch bestätigt. Er würde an Fall Blau teilnehmen. Wenn Carla die Russen in die Lage versetzte, diese Schlacht zu gewinnen, machte sie sich mitschuldig an Eriks Tod. Das könnte sie nicht ertragen.
    Carla kehrte an ihre Arbeit zurück. Sie war abgelenkt und machte Fehler, aber die Ärzte merkten es glücklicherweise nicht, und die Patienten verstanden zu wenig von der Materie, um sichzu beschweren. Als Carlas Schicht zu Ende war, eilte sie davon. Die Minikamera schien ein Loch in ihre Tasche zu brennen, doch Carla sah nirgends einen geeigneten Ort, sie loszuwerden.
    Wo hatte Frieda das Ding wohl her? Sicher, sie verdiente Geld; sie könnte sich die Kamera einfach gekauft haben. Allerdings hätte sie dann auch erklären müssen, wofür sie solch ein Spezialgerät brauchte. Wahrscheinlicher war, dass sie die Kamera von den Russen bekommen hatte, ehe diese vor einem Jahr ihre Botschaft hatten schließen müssen.
    Die Kamera steckte noch immer in Carlas Manteltasche, als sie nach Hause kam.
    Von oben war diesmal kein Klavier zu hören; Joachim würde erst später zum Unterricht kommen. Maud saß am Küchentisch. Als Carla hereinkam, sagte sie mit strahlender Miene: »Schau mal, wer hier ist!«
    Es war Erik.
    Carla starrte ihn an. Er war erschreckend dünn, schien aber unverletzt zu sein. Seine Uniform starrte vor Schmutz und war zerschlissen, aber er hatte sich Gesicht und Hände gewaschen. Er stand auf und umarmte Carla.
    Sie drückte ihn fest an sich. Er war so mager, dass sie seine Knochen spüren konnte. Carla war es egal, ob seine verdreckte Kleidung Flecken auf ihrer makellosen Schwesternuniform hinterließ. Sie seufzte erleichtert. »Du bist in Sicherheit.«
    »Im Augenblick ja«, erwiderte Erik.
    »Wie geht es dir?«
    »Besser als den meisten anderen.«
    »Du hast diese dünne Uniform doch nicht den ganzen Winter über getragen?«
    »Ich habe einem toten Russen den Mantel gestohlen.«
    Carla setzte sich an den Tisch. Ada war ebenfalls da. Erik sagte: »Ihr hattet recht, was die Nazis angeht. Ihr hattet vollkommen recht.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Carla.
    »Sie sind Mörder. Du hast es mir gesagt, Vater hat es mir gesagt, und Mutter ebenfalls.« Er blickte Ada an. »Es tut mir leid, Ada, dass ich nicht geglaubt habe, dass sie den kleinen Kurt ermordet haben. Jetzt weiß ich es besser.«
    »Was hat deine Ansicht so sehr geändert?«, fragte Carla verwundert.
    »Ich habe in Russland gesehen, wie gnadenlos sie morden. Sie treiben alle wichtigen Leute einer Stadt zusammen, weil die ja Kommunisten sein müssen. Sie schnappen sich auch die Juden … nicht nur die Männer, auch Frauen, Kinder und gebrechliche alte Leute, die keinem mehr etwas tun können.« Tränen liefen ihm über die Wangen. »Gott sei Dank sind die normalen Wehrmachtssoldaten nicht daran beteiligt. Die Mordbefehle werden von Sondereinsatzgruppen der SS ausgeführt. Sie bringen die Gefangenen aus der Stadt. Manchmal in einen Steinbruch oder irgendeine Grube. Oder sie lassen die Jüngeren ein großes Loch graben. Dann …«
    Er konnte kaum noch sprechen, doch Carla musste es von ihm hören. »Dann was?«
    »Sie nehmen sich immer zwölf zur gleichen Zeit. Sechs Paare. Manchmal halten sich Mann und Frau an der Hand, wenn sie die Rampe hinuntergehen. Die Mütter tragen ihre Babys. Die Schützen warten, bis die Gefangenen an der richtigen Stelle sind, dann erschießen sie sie.« Erik wischte sich die Tränen ab.
    Schweigen breitete sich aus. Ada weinte. Carla war starr vor Entsetzen. Mauds Gesicht war wie versteinert.
    Schließlich putzte Erik sich die Nase und holte seine Zigaretten hervor. »Ich war überrascht, als man mir auf einmal Heimaturlaub gegeben hat«, wechselte er abrupt das Thema.
    »Wann musst du zurück?«, fragte Carla.
    »Morgen. Ich habe hier nur vierundzwanzig Stunden. Trotzdem beneiden mich meine Kameraden. Für einen einzigen Tag zu Hause würden sie alles geben. Dr. Weiss hat gesagt, ich müsse Freunde an hoher Stelle haben.«
    »Die hast du auch«, sagte Maud. »Joachim Koch, ein junger Leutnant, der im Bendlerblock arbeitet, bekommt von mir Klavierunterricht. Ich habe ihn gebeten, den Heimaturlaub für dich zu arrangieren.« Sie schaute auf die Uhr. »Er wird in ein paar Minuten hier sein. Er mag

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