Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
schenkte ihm ein geheimnisvolles Lächeln, antwortete aber nicht.
Sie verließen den Park und überquerten die Straße zu einem Restaurant. Viele Lokale waren geschlossen, aber im Stadtzentrum mit seinen zahlreichen Ämtern und Büros hatten einige Gasthäuser überlebt.
Grigori Peschkow saß an einem Tisch auf dem Bürgersteig. Im Kreml gab es zwar bessere Restaurants, doch er legte Wert darauf, dort gesehen zu werden, wo auch normale Russen aßen. Er wollte ihnen zeigen, dass er nicht über ihnen stand, auch wenn er eine Generalsuniform trug. Dennoch hatte er sich einen etwas abseits gelegenen Tisch ausgesucht, damit man ihn nicht belauschen konnte.
Grigori stand Zoja ablehnend gegenüber, war aber nicht immun gegen ihren Zauber, und so stand er auf und küsste sie auf beide Wangen.
Sie bestellten sich Kartoffelpfannkuchen und Bier. Die einzige Alternative wären eingelegte Heringe und Wodka gewesen.
»Heute werde ich nicht über Kernphysik mit Ihnen sprechen, Genosse General«, sagte Zoja. »Ich vertrete noch immer dieselbe Meinung wie beim letzten Mal, als wir darüber geredet haben, und ich will Sie nicht langweilen.«
»Da bin ich erleichtert«, sagte er.
Zoja lachte und ließ ihre weißen Zähne blitzen. »Stattdessen können Sie mir ja sagen, wie lange wir noch im Krieg sein werden.«
In gespielter Verzweiflung schüttelte Wolodja den Kopf. Warum musste Zoja seinen Vater immer wieder provozieren? Wäre sie keine schöne junge Frau gewesen, hätte Grigori sie längst verhaften lassen.
»Die Nazis sind besiegt, aber sie geben es nicht zu«, sagte er.
Zoja erwiderte: »In Moskau fragt sich jeder, was diesen Sommer wohl geschehen wird … Aber das wisst ihr beide vermutlich.«
»Wenn ich es wüsste«, sagte Wolodja, »würde ich es bestimmt nicht meiner Freundin sagen, egal wie verrückt ich nach ihr bin.« Außerdem würde ein solches Geheimnis sie wahrscheinlich vor ein Erschießungskommando bringen, fügte er in Gedanken hinzu.
Die Kartoffelpfannkuchen wurden serviert. Wie immer aß Zojamit Heißhunger. Wolodja liebte es, wie sie sich auf das Essen stürzte. Ihm selbst schmeckten die Pfannkuchen nicht besonders. »Die Kartoffeln schmecken verdächtig nach Rüben«, bemerkte er.
Sein Vater warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
»Nicht dass ich mich deswegen beschweren möchte«, fügte Wolodja rasch hinzu.
Nach dem Essen ging Zoja zur Toilette. Kaum war sie außer Hörweite, sagte Wolodja: »Wir gehen davon aus, dass die deutsche Sommeroffensive unmittelbar bevorsteht.«
»Das sehe ich genauso«, erwiderte sein Vater.
»Sind wir darauf vorbereitet?«
»Natürlich«, antwortete Grigori, schaute aber besorgt drein.
»Die Deutschen werden im Süden angreifen«, sagte Wolodja. »Sie wollen die Ölfelder des Kaukasus.«
Grigori schüttelte den Kopf. »Sie werden wieder gegen Moskau ziehen. Das ist ihr eigentliches Ziel.«
»Stalingrad ist genauso symbolträchtig. Immerhin trägt die Stadt den Namen unseres Führers.«
»Scheiß auf die Symbolik. Wenn die Deutschen Moskau einnehmen, ist der Krieg zu Ende. Wenn nicht, haben sie den Sieg noch längst nicht in der Tasche, egal was sie sich sonst unter den Nagel reißen.«
»Das sind doch nur Vermutungen«, erwiderte Wolodja.
»Genau wie bei dir.«
»Nein. Ich habe Beweise.« Wolodja schaute sich um; es war niemand in der Nähe. »Die Offensive trägt den Codenamen Fall Blau. Sie wird am 28. Juni beginnen.« Das hatte er von Werner Francks Spionagenetzwerk in Berlin erfahren. »Im Aktenkoffer eines deutschen Offiziers, der mit einem Aufklärungsflugzeug in der Nähe von Charkow notgelandet ist, haben wir Details darüber gefunden.«
»Offiziere auf Aufklärung haben keine Aktentaschen mit Schlachtplänen dabei«, sagte Grigori. »Genosse Stalin hält das für eine Täuschung, um uns in die Irre zu führen. Ich sehe es genauso. Die Deutschen wollen erreichen, dass wir unser Zentrum schwächen, indem wir Truppen nach Süden schicken, um dort ein Ablenkungsmanöver abzuwehren.«
Wolodja seufzte. Da lag das Problem mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen. Selbst wenn man entsprechende Informationen besaß, glaubten sture alte Männer trotzdem, was sie glauben wollten.
Wolodja sah Zoja zurückkommen. »Was würde dich denn überzeugen, Vater?«, fragte er rasch, bevor sie an den Tisch kam.
»Zusätzliche Beweise.«
»Zum Beispiel?«
Grigori dachte kurz nach. »Besorg mir den Befehl«, sagte er dann.
Wieder seufzte Wolodja. Werner Franck
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