Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
wissen, dass er ermordet wurde, wenn sie die Leiche finden. Sie werden seine Verletzungen untersuchen.«
Darüber machte sich auch Carla Sorgen. »Ich weiß. Wir können nichts dagegen tun.«
»Und sie werden Nachforschungen darüber anstellen, wohin er heute gegangen ist«, sagte Maud.
»Er hat gesagt, dass er niemandem vom Klavierunterricht erzählt hat. Er wollte seine Kameraden mit seinen neuen Fähigkeiten überraschen. Mit ein bisschen Glück weiß niemand, dass er zu uns gekommen ist.« Und mit ein bisschen Pech, fügte Carla in Gedanken hinzu, sind wir alle tot.
»Wird die Polizei Samenspuren in seiner Unterwäsche finden?«, fragte sie.
Maud wandte sich verlegen ab. »Ja.«
»Dann wird man wahrscheinlich davon ausgehen, dass bei einer sexuellen Eskapade irgendetwas schiefgegangen ist. Dass er mit einer verheirateten Frau geschlafen hat und von deren Mann erwischt wurde.«
»Ich hoffe, du hast recht.«
Carla war sich da gar nicht so sicher, wusste aber auch nicht, was sie hätte tun sollen. »Der Kanal«, sagte sie. Die Leiche würde schwimmen und früher oder später gefunden werden. Und es würde eine Mordermittlung geben. Sie mussten hoffen, dass die Ermittler keine Spur fanden, die sie zu ihnen führte.
Carla öffnete die Haustür.
Sie stellte sich vorne links an den Schrank, Ada hinten rechts. Dann bückten sie sich.
Ada sagte: »Kipp ihn zur Seite, damit du drunterfassen kannst.«
Carla tat wie geheißen.
»Und jetzt heb deine Seite ein Stück an.«
Carla gehorchte.
Ada schob die Hände unter ihre Seite und sagte: »Beug die Knie, nimm das Gewicht, und richte dich auf.«
Sie hoben den Schrank auf Hüfthöhe. Ada bückte sich und schob die Schulter unter das Möbel. Carla tat es ihr nach.
Die beiden Frauen stemmten sich hoch.
Das Gewicht verschob sich zu Carla, als sie die Eingangsstufen hinunterstiegen, aber sie konnte es tragen. Als sie die Straße erreichten, schlugen sie die Richtung zum Kanal ein, der ein paar Blocks entfernt lag.
Inzwischen war es stockdunkel geworden. Sie hatten Neumond, und nur eine Handvoll Sterne spendete einen Hauch von Licht. Da Verdunkelung befohlen war, bestand durchaus die Chance, dass niemand sah, wenn sie den Schrank ins Wasser warfen. Das Problem war, dass Carla nicht sehen konnte, wohin sie ihre Schritte setzte. Sie hatte Angst, zu stolpern und zu fallen, sodass der Schrank zerbarst und der Ermordete herausrollte.
Ein Krankenwagen fuhr vorbei, vermutlich zu einem der vielen Verkehrsunfälle, die auf die Verdunkelung zurückzuführen waren. Das bedeutete, dass auch Polizei in der Nähe war.
Carla erinnerte sich an einen Mordfall zu Beginn der Verdunkelung, der hohe Wellen geschlagen hatte. Ein Mann hatte seine Frau ermordet, ihre Leiche in einen Schrankkoffer gezwängt und sie im Dunkeln auf dem Fahrradanhänger durch die ganze Stadt gefahren, um sie schließlich in der Havel zu versenken. Würde die Polizei sich daran erinnern, wenn sie nun jemanden mit einem ebenso großen Möbelstück sah?
Noch während Carla darüber nachdachte, fuhr ein Streifenwagen vorbei. Ein Polizist starrte auf die beiden Frauen, die sich mit dem Schrank abmühten, doch der Wagen hielt nicht an.
Die Last wurde immer schwerer. Die Nacht war warm, und es dauerte nicht lange, bis Carla der Schweiß über die Stirn lief. Das Holz schnitt in ihre Schulter, und sie wünschte sich, sie hätte sich ein Taschentuch als Polster unter die Bluse geschoben.
Sie bogen um eine Ecke und sahen die Unfallstelle.
Ein mit Holz beladener Lastwagen war frontal mit einer Mercedes-Limousine zusammengestoßen und hatte sie schwer beschädigt. Der Streifenwagen und die Ambulanz hatten die Scheinwerfer auf das Autowrack gerichtet. Einige wenige Schaulustige hatten sich in dem schwachen Licht versammelt. Der Unfall musste vor höchstens fünf Minuten passiert sein, denn es waren noch Leute im Auto. Ein Sanitäter beugte sich an der Hintertür ins Innere des Wagens. Vermutlich untersuchte er die Verletzungen der Insassen, um festzustellen, ob sie bewegt werden konnten.
Mitten im Schritt blieb Carla stehen. Doch niemand hatte sie, Ada und den Schrank bemerkt. Augenblicke später wurde Carla klar, dass sie bloß kehrtmachen, sich davonschleichen und sich einen anderen Weg zum Kanal suchen mussten.
Langsam drehte sie sich um … doch genau in diesem Augenblick leuchtete ein Polizist mit der Taschenlampe in ihre Richtung.
Carla war versucht, den Schrank fallen zu lassen und davonzurennen, doch sie
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