Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
muss ins Zimmer gekommen sein, als ich abgelenkt war …«
»Das ist Unsinn.«
»Nein, ist es nicht.«
»Komm, setzen wir uns ans Klavier, nebeneinander, so wie dues magst«, sagte Maud, doch ihre Stimme klang immer verzweifelter.
»Wer ist sonst noch im Haus?«, fragte Joachim.
Carla wusste, was als Nächstes kommen würde; deshalb lief sie die Treppe hinunter und in die Küche. Ada starrte sie besorgt an, doch Carla fehlte die Zeit für Erklärungen.
Sie hörte Joachims Stiefel auf der Treppe poltern.
Einen Augenblick später stand er in der Küche, die Tasche in der Hand. Sein Gesicht war wutverzerrt. Er starrte Carla und Ada an. »Eine von euch hat in diese Tasche geschaut!«
So ruhig sie konnte, erwiderte Carla: »Wie kommst du darauf?«
Maud erschien hinter Joachim und trat an ihm vorbei in die Küche. »Mach uns bitte einen Kaffee, Ada«, sagte sie mit bemühter Fröhlichkeit. »Setz dich doch, Joachim.«
Der junge Leutnant ignorierte sie und schaute sich aufmerksam in der Küche um. Sein Blick blieb am Schrank unter dem Fenster haften. Zu ihrem Entsetzen sah Carla, dass sie zwar die Kamera weggelegt hatte, nicht aber die beiden Ersatzfilme.
»Das sind Acht-Millimeter-Filmkassetten, nicht wahr?«, fragte Joachim. »Habt ihr eine Minikamera?«
Plötzlich sah er gar nicht mehr wie ein grüner Junge aus.
»Ach, so ein Ding ist das?«, sagte Maud. »Ich hatte mich schon gewundert. Die hat ein anderer Schüler hier vergessen, ein Gestapo-Beamter.«
Maud hatte rasch improvisiert, aber Joachim kaufte es ihr nicht ab. »Hat er vielleicht auch seine Kamera vergessen?«, fragte er und zog die Schublade auf.
Da lag die kleine Kamera in ihrem Stahlgehäuse auf einem weißen Handtuch, so verräterisch wie ein Blutfleck.
Schockiert riss Joachim die Augen auf. Vielleicht hatte er bis jetzt nicht wirklich geglaubt, ein Opfer von Verrat geworden zu sein, sondern sich nur aufgeplustert, um sein sexuelles Versagen zu kompensieren; nun aber musste er sich der Wahrheit stellen. Die Hand am Knauf der Schublade, starrte er wie hypnotisiert auf die Kamera.
Schließlich hob er den Blick, ließ ihn über die Gesichter der drei Frauen schweifen und schaute schließlich Maud an. »Du warst das«, sagte er. »Du hast mich reingelegt. Aber das wirst du mirbüßen.« Er schnappte sich die Kamera und die Filme und steckte sie in die Tasche. »Sie sind verhaftet, Frau von Ulrich.« Er trat einen Schritt auf sie zu und packte sie am Arm. »Ich muss Sie zur Gestapo bringen.«
Maud riss sich von ihm los und wich einen Schritt zurück.
Joachim schlug sie mit aller Kraft. Er war jung und stark. Der Hieb traf Maud im Gesicht und schleuderte sie zu Boden. Dann stand er über ihr. »Du hast mich zum Narren gehalten!«, rief er mit überkippender Stimme. »Du hast gelogen, und ich habe dir geglaubt!« Er wurde hysterisch. »O Gott, die Gestapo wird uns foltern, und wir haben es nicht einmal besser verdient!« Er trat sie. Maud versuchte, sich wegzurollen, blieb aber am Herd hängen. Joachims rechter Stiefel traf sie in die Rippen, an den Beinen und in den Magen.
Ada stürzte sich auf ihn und grub ihm die Fingernägel ins Gesicht, doch er stieß sie mühelos beiseite. Dann trat er Maud gegen den Kopf.
Instinktiv schnappte Carla sich den gusseisernen Suppentopf vom Tisch, den Ada mit so leidenschaftlicher Hingabe geschrubbt hatte. Sie hielt ihn am langen Stiel, hob ihn hoch über den Kopf und schmetterte ihn mit aller Kraft auf Joachims Schädel.
Joachim taumelte benommen.
Carla schlug ihn erneut, diesmal noch härter.
Bewusstlos brach Joachim zusammen. Maud wich dem stürzenden Körper aus, setzte sich aufrecht an die Wand und hielt sich die Brust.
»Nein!«, rief sie, als Carla zu einem weiteren Schlag ausholte. »Hör auf!«
Carla stellte den Topf zurück auf den Küchentisch.
Joachim machte schwache Bewegungen und versuchte aufzustehen.
Plötzlich packte Ada den Topf und drosch wie besessen auf den jungen Leutnant ein. Carla versuchte, sie festzuhalten, doch Ada war außer sich vor Wut. Immer wieder schlug sie auf den Kopf des Bewusstlosen ein, bis sie völlig außer Atem war. Dann ließ sie den Topf zu Boden fallen.
Maud stemmte sich auf die Knie und blickte Joachim an. Seine Augen waren weit aufgerissen und starrten ins Leere. Seine Nasewar zerschlagen; sein Schädel schien die Form verloren zu haben, und Blut lief ihm aus einem Ohr. Er atmete nicht mehr.
Carla kniete sich neben ihn und fühlte am Hals nach dem Puls.
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