Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Vergebens. »Er ist tot«, flüsterte sie. »Mein Gott, wir haben ihn umgebracht.«
»Du armer dummer Junge«, sagte Maud und brach in Tränen aus.
Ada, noch immer außer Atem, fragte: »Was sollen wir jetzt tun?«
Carla wurde bewusst, dass sie die Leiche loswerden mussten.
Mühsam rappelte Maud sich auf. Die linke Seite ihres Gesichts schwoll bereits an. »O Gott, tut das weh«, sagte sie und hielt sich die Seite. Carla vermutete, dass eine Rippe gebrochen war.
Ada schaute auf Joachim. »Wir könnten ihn auf dem Speicher verstecken«, schlug sie vor.
»Ja«, sagte Carla, »aber nur so lange, bis die Nachbarn sich über den Gestank beschweren.«
»Dann begraben wir ihn eben im Garten.«
»Ach ja? Was werden die Leute wohl denken, wenn sie sehen, wie drei Frauen ein drei Meter langes Loch im Garten eines Berliner Stadthauses ausheben? Dass wir nach Gold suchen?«
»Wir könnten nachts graben.«
»Und das soll weniger verdächtig sein?«
Ada kratzte sich den Kopf.
Carla sagte: »Wir müssen die Leiche irgendwohin bringen. In einen Park … oder zu einem Kanal.«
»Und wie sollen wir sie transportieren?«, fragte Ada.
»Er wiegt nicht viel«, sagte Maud leise. »Er ist schlank.«
»Das Gewicht ist nicht das Problem«, erklärte Carla. »Ada und ich können ihn tragen. Aber wir dürfen keinen Verdacht erregen.«
»Wenn wir doch ein Auto hätten!«, sagte Maud.
Carla schüttelte den Kopf. »Es gibt doch kaum noch Benzin.«
Sie schwiegen. Draußen wurde es allmählich dunkel. Ada holte ein Handtuch und wickelte es um Joachims Kopf, damit nicht noch mehr Blut auf den Boden strömte. Maud weinte stumm. Carla hätte sie gern getröstet, aber zuerst galt es, die Leiche loszuwerden.
»Wir könnten ihn in eine Kiste stecken«, sagte sie.
»Die einzige Kiste, die groß genug ist, ist ein Sarg«, bemerkte Ada.
»Wie wär’s mit einem Möbelstück? Die Anrichte vielleicht?«
»Zu schwer.« Ada dachte nach. »Aber der Garderobenschrank in meinem Zimmer könnte gehen.«
Carla nickte. »Holen wir ihn.« Von einer Zofe erwartete man, dass sie nicht so viele Kleider hatte, als dass sich ein Mahagonimöbel gelohnt hätte; deshalb besaß Ada nur einen verhältnismäßig kleinen Sperrholzschrank.
Ursprünglich hatte sie im Keller gewohnt, aber der diente nun als Luftschutzbunker, und sie hatte ihr Zimmer oben. Carla und Ada gingen hinauf. Ada öffnete ihren Schrank und nahm die Sachen von den Bügeln. Es waren nicht viele: zwei Uniformen, ein paar Kleider und ein Wintermantel, alles alt. Ordentlich legte sie die Sachen aufs Bett.
Carla kippte den Schrank, und Ada nahm das andere Ende. Er war tatsächlich nicht schwer, aber unhandlich, und es dauerte seine Zeit, ihn aus der Tür und die Treppe hinunter zu manövrieren. Schließlich legten sie ihn in den Flur. Carla öffnete die Tür. Jetzt sah er wie ein Sarg mit Scharnieren aus.
Carla kehrte in die Küche zurück und beugte sich über die Leiche. Sie zog die Kamera und die Filme aus Joachims Tasche und legte sie in die Schublade zurück.
Carla packte Joachim an den Armen; Ada nahm die Beine. Gemeinsam hoben sie ihn hoch, trugen ihn aus der Küche in den Flur und ließen ihn in den Schrank hinunter. Ada zog das Handtuch um den Kopf des Toten noch einmal zurecht, obwohl die Blutung aufgehört hatte.
Carla überlegte, ob sie ihm auch die Uniform ausziehen sollten. Ohne Uniform wäre die Leiche nicht so einfach zu identifizieren. Aber dann müssten sie die auch noch loswerden; also entschied sie sich dagegen.
Carla holte Joachims Tasche und warf sie zu dem Toten in den Schrank.
Sie schloss die Schranktür, drehte den Schlüssel, damit die Tür sich nicht versehentlich öffnen konnte, und ließ den Schlüssel in der Tasche verschwinden.
Carla ging ins Wohnzimmer und schaute zum Fenster hinaus. »Es wird dunkel«, sagte sie. »Das ist gut.«
»Was werden die Leute denken?«, fragte Maud.
»Dass wir irgendein Möbelstück verkaufen wollen, damit wir Geld für Nahrungsmittel haben.«
»Zwei Frauen, die einen Garderobenschrank durch die Gegend schleppen?«
»Frauen machen so was ständig, vor allem, da jetzt viele Männer tot oder bei der Wehrmacht sind. Außerdem können wir kein Umzugsunternehmen in Anspruch nehmen. Schließlich haben auch die kein Benzin.«
»Und warum macht ihr das im Halbdunkel?«, fragte Maud.
»Ich weiß es nicht, Mutter. Wenn man uns fragt, muss ich mir etwas ausdenken. Aber hier kann der Tote auf keinen Fall bleiben.«
»Sie werden
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