Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
in der Stadt; aber am Heiligabend führte er traditionell seine Frau Olga aus. Technisch war er noch immer mit ihr verheiratet, obwohl er seit Jahren keine Nacht mehr in ihrem Haus verbracht hatte. Soweit Greg wusste, hassten sein Vater und Olga einander, aber aus irgendeinem Grund trafen sie sich einmal im Jahr.
An diesem Abend aßen Greg und seine Mutter in ihrer Wohnung zu Abend. Um ihr eine Freude zu machen, hatte er einen Smoking angezogen. »Ich mag es, wenn meine Männer sich herausputzen«, sagte sie oft. Sie aßen Fischsuppe, Grillhähnchen und Gregs Lieblingsspeise seit Kinderzeiten, Pfirsichkuchen.
»Ich habe Neuigkeiten, Mutter«, sagte er nervös, als das Dienstmädchen Kaffee einschenkte, denn er befürchtete, seine Mutter könne verärgert reagieren. Seine Furcht galt jedoch nicht ihm selbst, sondern Georgy. Vielleicht war das ja das Wesen der Elternschaft: dass man sich um jemand anderen mehr sorgte als um sich selbst.
»Gute Neuigkeiten?«, fragte Marga.
In den letzten Jahren hatte sie Gewicht zugelegt, aber für eine Sechsundvierzigjährige sah sie noch immer sehr gut aus. Wenn sich in ihrem dunklen Haar irgendwelches Grau zeigte, so hatte ihr Friseur es geschickt kaschiert. An diesem Abend trug sie ein schlichtes schwarzes Kleid und eine brillantenbesetzte Halskette.
»Sehr gute Neuigkeiten«, antwortete Greg, »die aber ein bisschen überraschend für dich kommen, also fahr bitte nicht aus der Haut.«
Sie zog eine schwarze Augenbraue hoch, sagte aber nichts.
Greg griff in die Innentasche seines Jacketts und nahm ein Foto heraus. Es zeigte Georgy auf einem roten Fahrrad mit einer Schleife um die Lenkstange. Am Hinterrad waren Stützräder angebracht, die ein Umkippen verhindern sollten. Der Junge blickte begeistert in die Kamera. Greg kniete neben ihm und sah mächtig stolz aus.
Er reichte seiner Mutter das Foto.
Sie betrachtete es nachdenklich. Schließlich sagte sie: »Ich nehme an, du hast diesem kleinen Jungen das Fahrrad zu Weihnachten geschenkt.«
»Ja.«
Sie blickte auf. »Willst du mir damit sagen, du hast ein Kind?«
Greg nickte. »Er heißt Georgy.«
»Bist du verheiratet?«
»Nein.«
Sie warf das Foto auf den Tisch. »Um Gottes willen!«, rief sie verärgert, »was ist nur mit euch Peshkovs los!«
Greg war bestürzt. »Ich weiß nicht, was du damit meinst …«
»Noch ein uneheliches Kind! Noch eine Frau, die ihren Sohn allein großziehen muss!«
Ihm wurde klar, dass seine Mutter Jacky als ihr jüngeres Ebenbild betrachtete. »Mutter, ich war fünfzehn …«
»Warum könnt ihr Peshkovs nicht normal sein?«, wütete sie. »Um der Liebe Christi willen, was ist denn so falsch daran, eine normale Familie zu haben?«
Greg senkte den Kopf. »Nichts.«
Er schämte sich. Bis zu diesem Moment hatte er seine Rolle in dem Drama als etwas Passives gesehen, hatte sich sogar als Opfer betrachtet. Alles, was geschehen war, ging auf seinen Vater und Jacky zurück. Seine Mutter jedoch sah es anders, und Greg begriff, dass sie recht hatte. Er hatte es sich damals nicht zweimal sagen lassen, als er die Gelegenheit gehabt hatte, mit Jacky zu schlafen; er hatte nicht nachgehakt, als sie beiläufig erklärt hatte, er bräuchte sich über Empfängnisverhütung keine Gedanken zu machen. Und er hatte seinen Vater nicht zur Rede gestellt, als Jacky ihn verließ. Sicher, er war damals noch sehr jung gewesen – aber wenn er alt genug war, um Jacky zu vögeln, war er auch alt genug, die Verantwortung für die Folgen zu übernehmen.
Marga hatte sich noch immer nicht beruhigt. »Weißt du denn nicht mehr, wie du als kleiner Junge gewesen bist? ›Wo ist mein Daddy? Warum schläft er nicht hier? Warum können wir nicht mit ihm gehen und Daisy besuchen?‹ Und später die Prügeleien in der Schule, wenn jemand dich ›Hurenkind‹ nannte. Und was warst du wütend, als man dich nicht in diesen blöden Jachtclub aufnehmen wollte!«
»Das weiß ich doch alles noch …«
Marga knallte die beringte Faust auf den Tisch, dass die Kristallgläser klirrten. »Wie kannst du dann einem anderen kleinen Jungen genau die gleichen Qualen zumuten?«
»Bis vor zwei Monaten wusste ich nicht, dass es ihn gibt. Lev hat der Mutter des Jungen Angst gemacht und sie vertrieben.«
»Wer ist sie?«
»Sie heißt Jacky Jakes und ist Kellnerin.« Er nahm ein anderes Foto hervor.
Seine Mutter seufzte. »Eine hübsche Negerin.« Sie beruhigte sich ein wenig.
»Sie hatte die Hoffnung, Schauspielerin zu werden, hat es
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