Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Kommandantur.«
Der Mann las das Dokument sorgfältig durch und gab es zurück. Dann musterte er Lieutenant Colonel Will Donelly, den bulligen amerikanischen Piloten. »Ist der Mann Franzose?«
In seiner Tasche schloss Lloyd die Hand um den Pistolengriff.
Das Aussehen der Flüchtigen war immer ein Problem. Die Einheimischen in diesem Teil der Welt, Franzosen und Spanier, waren meist klein, dunkel und hager. Lloyd und Teresa entsprachen dieser Beschreibung, der Tscheche und die Geigerin ebenfalls. Die Briten aber waren blass und hellhaarig, und die Amerikaner riesige Kerle.
»Guillaume kommt aus der Normandie. Die viele Butter, wissen Sie«, sagte Teresa.
Der jüngere Soldat, ein blasser Bursche mit Brille, lächelte Teresa an. Sie anzulächeln fiel jedem Mann leicht. »Bringen Sie Wein?«, fragte er.
»Aber natürlich.«
Die beiden Streifengänger waren schlagartig besserer Laune.
»Möchten Sie gleich welchen?«, fragte Teresa.
»Ich bin durstig wie die Sonne«, sagte der ältere Mann.
Lloyd öffnete einen Tragkorb an einem der Ponys, nahm vier Flaschen weißen Roussillon heraus und reichte sie den Männern. Jeder nahm zwei Flaschen. Mit einem Mal löste sich die Spannung. Alle lächelten und schüttelten sich die Hände. Der ältere Soldat sagte: »Geht nur weiter, Freunde.«
Die Kolonne setzte sich wieder in Bewegung. Lloyd hatte eigentlich keinen Ärger erwartet, aber sicher konnte man nie sein, und er war froh, dass sie an der Streife vorbei waren.
Sie brauchten noch zwei Stunden, um Lamont zu erreichen, ein ärmliches Dörfchen, das aus einer Handvoll windschiefer Häuser und mehreren leeren Schafskoppeln bestand, die sich am Rand einer kleinen Hochebene ausbreiteten, auf der sich das erste junge Frühjahrsgras zeigte. Lloyd bemitleidete die Menschen, die hier gelebt hatten. Sie hatten erbärmlich wenig besessen, und selbst das war ihnen genommen worden.
Die Gruppe zog auf den Dorfplatz und legte dankbar ihre Lasten ab. Sofort wurden sie von deutschen Soldaten umgeben.
Jetzt wurde es gefährlich.
Im Dorf lag ungefähr ein halber Zug, fünfzehn bis zwanzig Mann, unter dem Befehl eines Feldwebels. Alle halfen, die Lebensmittel auszuladen: Brot, Wurst, frischen Fisch, Kondensmilch, Konservendosen. Die Soldaten freuten sich, Essen zu bekommen und endlich einmal neue Gesichter zu sehen. Fröhlich versuchten sie ihre Wohltäter in Gespräche zu verwickeln.
Die Flüchtigen aber durften nur so wenig reden wie möglich. In dieser Situation konnte der kleinste Fehler zu ihrer Enttarnung führen. Außerdem sprachen einige Deutsche gut genug Französisch, um einen englischen oder amerikanischen Akzent zu erkennen. Selbst wer eine passable Aussprache hatte – Teresa und Lloyd zum Beispiel –, konnte sich durch einen Grammatikfehler verraten. Man sagte leicht einmal sur le table statt sur la table , und solch ein Fehler wäre keinem Franzosen unterlaufen.
Um davon abzulenken, gaben sich die beiden echten Franzosen in der Gruppe möglichst lautstark. Jedes Mal, wenn ein deutscher Soldat einen Flüchtigen ansprach, mischte sich einer der beiden sofort ins Gespräch ein.
Teresa reichte dem Feldwebel eine Rechnung, die der Mann lange prüfte, ehe er das Geld auszahlte.
Endlich konnten sie weiterziehen, mit leeren Rucksäcken und leichteren Herzen.
Sie stiegen den Berg eine halbe Meile weit hinunter; dann trennten sie sich. Teresa ging mit den Franzosen und den Ponys weiter ins Tal, während Lloyd und die Flüchtigen auf einen Weg abbogen, der wieder in die Höhe führte.
Die deutschen Posten auf der Lichtung waren mittlerweile wahrscheinlich zu angeheitert, um zu bemerken, dass wenigerLeute hinunterkamen als hinaufgegangen waren. Sollten sie doch Fragen stellen, würde Teresa behaupten, dass ein paar ihrer Leute geblieben seien, um mit den Soldaten Karten zu spielen, und dass sie später nachkämen.
Lloyd ließ seine Gruppe zwei Stunden marschieren; dann erlaubte er ihnen eine zehnminütige Pause. Alle trugen Feldflaschen mit Wasser und Päckchen mit getrockneten Feigen als Energielieferant bei sich. Man hatte ihnen abgeraten, noch andere Dinge mitzubringen: Lloyd wusste aus Erfahrung, dass geliebte Bücher, Silberbesteck und Grammophonplatten irgendwann zu schwer wurden und in einem schneegefüllten Graben landeten, lange bevor die fußmüden Wanderer den höchsten Punkt des Passes erreichten.
Nun stand ihnen der schwierige Teil bevor, denn jetzt wurde es nur noch dunkler, kälter und steiniger. An
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