Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
aber wohl aufgegeben, als Georgy zur Welt kam.«
Marga nickte. »Ein Baby ruiniert die Karriere schneller als der Tripper.«
Offenbar vermutete sie, dass eine Schauspielerin mit den richtigen Leuten ins Bett steigen musste, um voranzukommen. Woher weiß sie davon, fragte sich Greg.
Andererseits hatte Marga in einem Nachtclub gesungen, als Lev sie kennenlernte …
Greg wollte nicht weiter darüber nachdenken.
»Was hast du ihr zu Weihnachten geschenkt?«, fragte Marga.
»Eine Krankenversicherung.«
»Gute Entscheidung. Besser als ein Teddybär.«
Greg hörte Schritte im Flur. Sein Vater kam nach Hause. Hastig fragte er: »Möchtest du Jacky kennenlernen, Mutter? Würdest du Georgy als deinen Enkel annehmen?«
Sie schlug die Hand vor den Mund. »Ach du lieber Gott, ja, ich bin Großmutter!« Sie wusste nicht, ob sie entsetzt oder erfreut sein sollte.
Greg beugte sich vor. »Ich möchte nicht, dass Vater den Jungen zurückweist. Bitte, Mutter!«
Ehe sie antworten konnte, kam Lev ins Zimmer.
»Hallo, Liebling, wie war der Abend?«, fragte Marga.
Lev setzte sich mit mürrischem Gesicht an den Tisch. »Nun ja, mir wurden meine Fehler in allen Einzelheiten dargelegt, also habe ich wohl ein paar wunderbare Stunden verlebt.«
»Du Armer. Hattest du genug zu essen? Ich kann dir ein Omelett machen.«
»Das Essen war prima.«
Die Fotos lagen auf dem Tisch, aber Lev hatte sie noch nicht bemerkt.
Das Dienstmädchen kam herein. »Hätten Sie gern Kaffee, Mr. Peshkov?«
»Nein, danke.«
»Bringen Sie den Wodka«, sagte Marga, »falls Mr. Peshkov später etwas trinken möchte.«
»Sehr wohl, Ma’am.«
Greg bemerkte, wie sehr seine Mutter um Levs Bequemlichkeitund Zufriedenheit besorgt war. Wahrscheinlich lag es daran, dass Lev die Nacht hier und nicht bei Olga verbringen würde.
Das Mädchen brachte eine Flasche und drei kleine Gläser auf einem silbernen Tablett. Lev trank seinen Wodka noch immer auf russische Art: warm und pur.
»Sag mal, Vater«, begann Greg, »du kennst doch Jacky Jakes …«
»Die schon wieder?«, fragte Lev gereizt.
»Es gibt da etwas, das du noch nicht über sie weißt.«
Damit hatte er Levs Aufmerksamkeit. Sein Vater konnte es nicht ausstehen, wenn andere etwas wussten, das ihm unbekannt war. »Was?«
»Sie hat ein Kind.« Er schob die Fotos über den Tisch.
»Von dir?«
»Er ist sechs Jahre alt. Was glaubst du wohl?«
»Da hat sie aber stramm den Mund gehalten.«
»Sie hatte Angst vor dir.«
»Was hat sie denn befürchtet? Dass ich das Baby brate und esse?«
»Das weiß ich nicht, Vater. Du bist der Experte im Einschüchtern.«
Lev blickte ihn hart an. »Aber du bist ein guter Schüler.«
Er meinte die Szene mit dem Rasiermesser. Vielleicht lerne ich wirklich, andere einzuschüchtern, dachte Greg.
»Warum zeigst du mir diese Bilder?«
»Ich dachte, du würdest vielleicht gern wissen, dass du einen Enkel hast.«
»Von einer gottverdammten zweitklassigen Schauspielerin, die gehofft hat, sich einen reichen Kerl zu schnappen!«
»Aber Liebling«, sagte Gregs Mutter, »vergiss nicht, dass ich eine zweitklassige Nachtclubsängerin war, die gehofft hat, sich einen reichen Kerl zu schnappen.«
Lev zog ein wütendes Gesicht. Einen Moment lang funkelte er Marga an, dann änderte sich seine Miene. »Wisst ihr was? Ihr habt recht. Wer bin ich, dass ich über Jacky Jakes urteile?«
Greg und Marga starrten ihn an, erstaunt über seine plötzliche Demut.
»Ich bin genau wie sie. Ich war ein zweitklassiger Strolch aus den Elendsvierteln von Sankt Petersburg, bis ich Olga Vyalov geheiratet habe, die Tochter von meinem Boss.«
Greg suchte den Blick seiner Mutter. Sie zuckte kaum merklich mit den Schultern, um ihm zu verstehen zu geben: Bei deinem Vater weiß man nie.
Lev blickte wieder auf das Foto. »Von der Farbe abgesehen sieht der Kleine aus wie mein Bruder Grigori. Also, so was. Bisher dachte ich immer, Negerbabys sehen alle gleich aus.«
Greg konnte kaum atmen. »Willst du ihn sehen, Vater? Kommst du mit mir, um deinen Enkel kennenzulernen?«
»Zum Teufel, ja.« Lev entkorkte die Flasche, füllte die drei Gläser mit Wodka und verteilte sie. »Wie heißt der Junge überhaupt?«
»Georgy.«
Lev hob sein Glas. »Auf Georgy.«
Sie alle tranken.
K A P I T E L 1 5
1943 (I)
Am Ende einer Reihe verzweifelter Flüchtiger stapfte Lloyd Williams einen schmalen Bergpfad hinauf.
Sein Atem ging leicht, denn er war solche Märsche gewöhnt. Mittlerweile hatte er die
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