Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Pyrenäen mehrmals überquert. Er trug Espadrilles mit Sohlen aus geknüpften Pflanzenfasern, die seinen Füßen auf dem felsigen Boden besseren Halt verschafften. Über seinen blauen Overall hatte er einen dicken Mantel gestreift. Noch schien die warme Sonne, aber später, in größeren Höhen, fiel die Temperatur nach Sonnenuntergang unter den Gefrierpunkt.
Vor Lloyd gingen zwei stämmige Ponys, drei Einheimische und acht erschöpfte, schmutzige Flüchtige, alle mit Rucksäcken beladen. Unter ihnen befanden sich drei amerikanische Flieger, die Überlebenden der Besatzung eines Bombers vom Typ B-24 Liberator, der in Belgien eine Bruchlandung gebaut hatte, sowie zwei britische Offiziere, die aus dem Kriegsgefangenenlager Oflag 65 in Straßburg entkommen waren. Bei den anderen handelte es sich um einen tschechischen Kommunisten, eine Jüdin mit einer Violine und einen geheimnisvollen Engländer namens Watermill.
Sie alle hatten einen langen Weg hinter sich und viele Entbehrungen ertragen. Nun befanden sie sich auf der letzten und gefährlichsten Etappe ihrer Flucht. Wenn sie gefasst wurden, würde man sie foltern, bis sie die tapferen Männer und Frauen verrieten, die ihnen unterwegs geholfen hatten.
Angeführt wurde die Gruppe von Teresa. Der Aufstieg war anstrengend für Menschen, die die Berge nicht gewöhnt waren; trotzdem mussten sie ein schnelles Tempo beibehalten, um sich so wenig wie möglich zu zeigen. Dabei machte Lloyd wieder einmal die Feststellung, dass die Flüchtigen seltener zurückfielen, wenn eine schöne Frau sie anführte.
Der Pfad wurde eben und verbreiterte sich zu einer kleinen Lichtung. Plötzlich erklang eine laute Stimme, die Französisch mit deutschem Akzent sprach: »Halt!«
Die Kolonne blieb abrupt stehen.
Zwei deutsche Soldaten kamen hinter einem Felsen hervor. Sie trugen die üblichen fünfschüssigen Mauser-Karabiner.
Ohne nachzudenken, schob Lloyd die Hand in die Manteltasche zu seiner schussbereiten 9-mm-Pistole, einer P08 der Wehrmacht.
Vom europäischen Kontinent zu fliehen wurde immer schwieriger und Lloyds Aufgabe mit jedem Mal gefahrvoller. Gegen Ende des vergangenen Jahres hatten die Deutschen auch die Südhälfte Frankreichs besetzt, die Vichy-Regierung verächtlich ignoriert und sie als jene fadenscheinige Heuchelei bloßgestellt, die sie von Anfang an gewesen war. Längs der spanischen Grenze war ein Sperrgebiet von zehn Meilen Tiefe eingerichtet worden. In dieser verbotenen Zone befanden sich nun Lloyd und seine Gruppe.
Teresa sprach die Soldaten auf Französisch an. »Guten Morgen, Messieurs. Alles in Ordnung?« Lloyd kannte Teresa gut; deshalb hörte er das furchtsame Beben in ihrer Stimme. Er hoffte nur, dass es nicht auch die Streife bemerkte.
Bei der französischen Polizei gab es viele Faschisten und einige Kommunisten, doch ihnen gemein war die Faulheit. Keiner von ihnen legte Wert darauf, Flüchtlingen auf den eisigen Pässen der Pyrenäen nachzustellen. Bei den Deutschen sah die Sache anders aus. Die Wehrmacht hatte Truppen in Grenzstädte verlegt und patrouillierte auf den Bergwegen und Eselspfaden, die Lloyd, Teresa und die anderen nun benutzten. Die Besatzer waren allerdings keine erstklassigen Truppen; die deutschen Eliteeinheiten fochten an der Ostfront, wo sie mittlerweile nach langem, mörderischem Kampf Stalingrad hatten aufgeben müssen. Viele deutsche Soldaten in Frankreich waren alte Männer, halbe Kinder oder Kriegsversehrte. Doch manche schienen sich gerade deshalb hervortun zu wollen. Im Unterschied zu den Franzosen nahmen sie ihre Aufgabe todernst.
Der ältere der beiden Soldaten, ein spindeldürrer Mann mit grauem Schnurrbart, fragte Teresa: »Wohin wollen Sie?«
»Nach Lamont. Wir bringen Lebensmittel für Sie und Ihre Kameraden.«
Eine kleine deutsche Einheit war in das abgelegene Dorf verlegt worden; die Einheimischen hatte man vertrieben. Erst dann war deutlich geworden, wie schwierig sich in diesem Bergnest Truppen mit Nachschub versorgen ließen. Teresa war auf die Idee gekommen, Lebensmittel zu den Deutschen zu transportieren – mit gutem Gewinn – und auf diese Weise die Erlaubnis zum Betreten des Sperrgebiets zu erhalten.
Der dürre Soldat blickte misstrauisch auf die Männer mit den großen Rucksäcken. »Das ist alles für deutsche Soldaten?«
»Ich hoffe schon«, sagte Teresa. »Ich wüsste nicht, wem wir es hier oben verkaufen sollten.« Sie zog einen Zettel aus der Tasche. »Hier ist der Passierschein von Ihrer
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