Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
hatte. Jetzt waren sie ausgesprochen, und alles war vorüber.
In diesem Augenblick begann ihr neues Leben.
»Gott sei Dank«, sagte sie.
Daisy mietete sich eine Wohnung auf der Piccadilly. Sie hatte ein großes Badezimmer im amerikanischen Stil mit Dusche und einer eigenen Gästetoilette – eine aberwitzige Extravaganz in den Augen der meisten Engländer.
Zum Glück brauchte Daisy sich keine Gedanken um Geld zu machen. Ihr Großvater hatte ihr ein Vermögen hinterlassen, über das sie uneingeschränkte Verfügungsmacht besaß, seit sie einundzwanzig geworden war. Und es bestand in amerikanischer Währung.
Neue Möbel ließen sich nur schwer beschaffen; deshalb kaufte sie Antiquitäten, für die es ein großes Angebot zu niedrigen Preisen gab. An die Wände hängte sie moderne Kunst, um eine fröhliche, jugendliche Atmosphäre zu schaffen. Sie stellte eine ältere Wäscherin und ein Zimmermädchen ein. Schon bald erkannte sie, dass es leicht war, sich ohne Butler oder Köchin um eineWohnung zu kümmern – besonders, wenn man keinen Mann hatte, der bemuttert werden wollte.
Die Diener im Haus in Mayfair packten Daisys Kleider ein und sandten sie ihr in einem Umzugswagen. Daisy und die Wäscherin verbrachten einen Nachmittag damit, die Kisten zu öffnen und alles ordentlich wegzuhängen.
Daisy fühlte sich gedemütigt und befreit zugleich. Im Großen und Ganzen, fand sie, war sie gut davongekommen. Die Wunde der Zurückweisung würde heilen, aber sie wäre für immer frei von Boy.
Nach einer Woche fragte sie sich, was sich bei der ärztlichen Untersuchung ergeben hatte. Der Arzt meldete sich natürlich bei Boy; schließlich war er der Ehemann. Ihn aber wollte Daisy nicht fragen. Außerdem erschien ihr die Frage nicht mehr von Bedeutung, deshalb vergaß sie die Sache nach einiger Zeit. Stattdessen stürzte sie sich in die Arbeit, ihr neues Zuhause einzurichten. Ein paar Wochen lang war sie zu beschäftigt, um Gesellschaft zu suchen. Als sie mit der Wohnung fertig war, beschloss sie, alle die Leute einzuladen, die sie in dieser Zeit vernachlässigt hatte.
Daisy hatte viele Freunde in London; immerhin lebte sie seit sieben Jahren hier. In den letzten vier Jahren war Boy häufiger fort gewesen als zu Hause, und Daisy hatte Partys und Bälle ohne Begleitung besucht. Dass sie nun ohne Ehemann war, bedeutete für ihr Leben deshalb keine große Veränderung. Ohne Zweifel wurde sie von den Einladungslisten der Familie Fitzherbert gestrichen, aber die Londoner Gesellschaft bestand ja nicht nur aus denen.
Sie kaufte kistenweise Whisky, Gin und Champagner, indem sie London nach dem wenigen abgraste, das legal zu bekommen war. Den Rest beschaffte sie sich auf dem Schwarzmarkt. Dann verschickte sie die Einladungen zu ihrer Einweihungsparty.
Die Antworten trafen beunruhigend rasch ein, und es waren ausschließlich Absagen.
Unter Tränen rief sie Eva Murray an. »Wieso will niemand auf meine Party kommen?«, fragte sie.
Zehn Minuten später stand Eva vor ihrer Tür.
Sie kam mit drei Kindern und einer Nanny. Jamie war sechs, Anna vier, die kleine Karen erst zwei.
Daisy zeigte ihr die Wohnung; dann ließ sie Tee kommen.Jamie funktionierte derweil die Couch in einen Panzer um. Seine Schwestern mussten als Besatzung herhalten.
In ihrem Englisch mit einer Mischung aus deutschem, amerikanischem und schottischem Akzent sagte Eva: »Daisy, liebe Daisy, wir sind nicht in Rom.«
»Ich weiß. Sag mal, sitzt du auch bequem?«
Eva war hochschwanger mit ihrem vierten Kind. »Hättest du was dagegen, wenn ich die Füße hochlege?«
»Natürlich nicht.« Daisy holte ein Kissen.
»Die Londoner Gesellschaft legt großen Wert auf Achtbarkeit«, fuhr Eva fort. »Glaub ja nicht, dass ich sie gutheiße. Ich bin oft ausgeschlossen worden, und der arme Jimmy wird manchmal geschnitten, weil er eine deutsche Halbjüdin geheiratet hat.«
»Das ist schrecklich.«
»Ja«, sagte Eva. »Das wünsche ich keinem.«
»Manchmal hasse ich die Briten.«
»Du vergisst, wie die Amerikaner sein können. Weißt du noch, wie du mir gesagt hast, alle Mädchen in Buffalo seien Snobs?«
Daisy lachte. »Mein Gott, wie lange ist das her.«
»Du hast deinen Mann verlassen«, sagte Eva. »Und das auf unbestreitbar spektakuläre Art, indem du ihm in der Bar des Claridge Beleidigungen an den Kopf geworfen hast.«
»Und dabei hatte ich nur einen Martini getrunken!«
Eva grinste. »Wäre ich doch dabei gewesen!«
»Wäre ich doch nicht dabei
Weitere Kostenlose Bücher