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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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gewesen.«
    »Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass die Londoner Gesellschaft in den letzten drei Wochen über kaum etwas anderes gesprochen hat.«
    »Das hätte ich mir eigentlich selbst denken können.«
    »Jedem, der zu deiner Party kommt, würde man nachsagen, dass er Ehebruch und Scheidung gutheißt. Sogar mir wäre es lieber, wenn meine Schwiegermutter nicht erfährt, dass ich dich besucht und mit dir Tee getrunken habe.«
    »Aber das ist so unfair! Boy hat mich jahrelang betrogen!«
    »Hast du gedacht, Frauen und Männer würden gleich behandelt?«
    Daisy erinnerte sich, dass Eva viel größere Sorgen hatte als ein bisschen Snobismus. Ihre Eltern waren noch immer in Nazi-Deutschland. Fitz hatte über die Schweizer Botschaft Erkundigungen eingezogen und erfahren, dass Evas Vater mittlerweile in einem Konzentrationslager saß. Ihr Bruder, ein Geigenbauer, war von der Polizei verprügelt worden; man hatte ihm beide Hände gebrochen.
    »Wenn ich an deine Sorgen denke, schäme ich mich, dass ich mich überhaupt beklage«, sagte Daisy.
    »Tu das nicht. Aber sag die Party ab.«
    Daisy befolgte den Rat, aber sie fühlte sich erbärmlich dabei. Ihre Arbeit für das Rote Kreuz beschäftigte sie tagsüber, doch abends konnte sie nichts unternehmen. Zweimal in der Woche ging sie ins Kino. Sie versuchte, Moby Dick zu lesen, fand das Buch aber ermüdend.
    Eines Sonntagmorgens ging sie in die Kirche. Die St. James’s Church, auf der Piccadilly gegenüber von ihrem Apartmenthaus gelegen, war ausgebombt; deshalb besuchte sie St.-Martin-in-the-Fields. Boy war nicht dort, aber Fitz und Bea. Daisy verbrachte den Gottesdienst damit, indem sie auf Fitz’ Hinterkopf starrte und darüber nachdachte, dass sie sich in zwei Söhne dieses Mannes verliebt hatte. Boy besaß das gute Aussehen seiner Mutter und die zielstrebige Selbstsucht seines Vaters. Lloyd hatte Fitz’ attraktives Aussehen und Ethels gutes Herz geerbt. Wieso hat es so lange gedauert, bis mir das klar geworden ist, fragte sie sich.
    Die Kirche war voller Leute, die Daisy kannte, doch nach dem Gottesdienst sprach niemand auch nur ein Wort mit ihr. Sie war einsam und fast ohne Freunde in einem fremden Land mitten im Krieg.
    Eines Abends nahm sie ein Taxi nach Aldgate und klopfte bei den Leckwiths an die Tür. Als Ethel öffnete, sagte sie geradeheraus: »Ich bin gekommen, weil ich Sie um die Hand Ihres Sohnes bitten möchte.« Ethel lachte glücklich und schloss sie in die Arme.
    Daisy brachte ein Gastgeschenk mit, amerikanischen Dosenschinken, den ein Navigator der US Army ihr geschenkt hatte. Für englische Familien, die auf Lebensmittelkarten lebten, war so etwas ein königlicher Luxus. Sie saß mit Ethel und Bernie in der Küche und hörte Tanzmusik im Radio. Gemeinsam sangen sie Underneath the Arches von Flanagan und Allen mit. »Bud Flanagan wurde hier im Eastend geboren«, sagte Bernie stolz. »Sein richtiger Name ist Chaim Reuben Weintrop.«
    Die Leckwiths redeten begeistert über den Beveridge Report, ein Regierungspapier, das zum Bestseller geworden war. »Obwohl von einem konservativen Premierminister in Auftrag gegeben und von einem liberalen Ökonomen verfasst«, sagte Bernie, »wird genau das vorgeschlagen, was die Labour Party immer schon gefordert hat. In der Politik weiß man, dass man auf der Siegerstraße ist, wenn der Gegner einem die Ideen klaut.«
    »Um was geht es in diesem Papier?«, fragte Daisy.
    »Jeder im erwerbsfähigen Alter soll eine wöchentliche Versicherungsprämie zahlen, für die er Leistungen erhält, wenn er krank, arbeitslos, im Ruhestand oder verwitwet ist«, erklärte Ethel.
    »Ein simpler Vorschlag, aber er würde unser Land verändern«, sagte Bernie begeistert. »Von der Wiege bis zur Bahre müsste niemand mehr mittellos sein.«
    »Hat die Regierung den Vorschlag angenommen?«, wollte Daisy wissen.
    »Nein«, sagte Ethel. »Clem Attlee hat Churchill bedrängt, aber der will nicht so recht. Das Finanzministerium glaubt, das Ganze käme zu teuer.«
    »Wir müssen eine Wahl gewinnen, ehe wir den Vorschlag in die Tat umsetzen können«, sagte Bernie.
    Millie, die Tochter des Hauses, kam in die Küche. »Lange kann ich nicht bleiben«, sagte sie. »Abie achtet eine halbe Stunde auf die Kinder.« Millie hatte ihren Job verloren – Frauen kauften derzeit keine teuren Kleider, nicht einmal, wenn sie es sich leisten konnten –, aber zum Glück florierte das Ledergeschäft ihres Mannes, und sie hatten zwei kleine Kinder, Lennie und

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