Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
führte logischerweise zu Schritt neun. »Meine Frau ist eine der Wissenschaftlerinnen, die am Bau der Bombe beteiligt sind«, sagte Wolodja und hoffte, dass ihn das wieder ein wenig menschlicher erscheinen ließ, bevor die Frunzes ihn für zu kühl und berechnend hielten.
»Sie sagte mir, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, an eine Atombombe zu kommen, dass wir aber keine Zeit hätten, diese Möglichkeiten durchzuprobieren. Wir könnten Jahre sparen, wenn wir wüssten, wie ihr es angestellt habt.«
»Das leuchtet ein«, sagte Frunze.
Zeit für Schritt zehn, den großen. »Wir müssen wissen, was für eine Art Bombe über Japan abgeworfen wurde.«
Gequält verzog Frunze das Gesicht. Er schaute zu seiner Frau. Diesmal nickte sie ihm nicht zu, schüttelte aber auch nicht den Kopf. Sie schien genauso hin und her gerissen zu sein wie ihr Mann.
Schließlich seufzte er. »Es waren zwei verschiedene Bomben.«
Wolodja war wie elektrisiert. »Zwei verschiedene Konstruktionen?«
Frunze nickte. »In Hiroshima wurde eine Uranbombe mit einem Zünder nach dem Kanonenprinzip eingesetzt. Wir haben sie ›Little Boy‹ genannt. In Nagasaki kam ›Fat Man‹ zum Einsatz, eine Plutoniumbombe mit Implosionszündung.«
Wolodja verschlug es den Atem. Das waren fantastische Informationen. »Welcher Entwurf ist denn der bessere?«
»Offensichtlich haben beide funktioniert, aber Fat Man war leichter herzustellen.«
»Warum?«
»Man braucht zwei Jahre, um das Uran 235 für eine Bombe zu gewinnen. Bei Plutonium geht es schneller.«
»Dann sollte die UdSSR also Fat Man kopieren?«
»Definitiv.«
»Da wäre noch eine Sache, mit der du helfen könntest, die Sowjetunion vor der Vernichtung zu bewahren«, sagte Wolodja.
»Und die wäre?«
Wolodja schaute ihm in die Augen. »Besorg mir die Konstruktionszeichnungen.«
Frunze wurde kreidebleich. »Ich bin amerikanischer Staatsbürger«, sagte er. »Du verlangst von mir, dass ich mein Land verrate? Darauf steht die Todesstrafe. Ich könnte auf dem elektrischen Stuhl landen.«
Du und auch deine Frau, dachte Wolodja. Schließlich ist sie deine Komplizin. Aber Gott sei Dank ist dir der Gedanke nicht gekommen.
»In den letzten Jahren habe ich viele Leute gebeten, ihr Leben zu riskieren«, sagte er. »Leute wie dich. Deutsche, die die Nazis gehasst haben. Männer und Frauen, die hohe Risiken eingegangen sind, um uns Informationen zu liefern. Menschen, die uns geholfen haben, den Krieg zu gewinnen. Ich muss dir das Gleiche sagen, Willi, was ich diesen Leute gesagt habe: Es werden wesentlich mehr Menschen sterben, wenn du nicht tust, worum ich dich gebeten habe.« Wolodja verstummte. Das war sein bester Trumpf. Mehr hatte er nicht zu bieten.
Frunze schaute wieder zu seiner Frau.
»Du hast die Bombe gebaut, Willi«, sagte Alice.
Frunze drehte sich zu Wolodja um. »Ich werde darüber nachdenken.«
Zwei Tage später übergab Frunze Wolodja die Konstruktionspläne.
Wolodja brachte sie nach Moskau, und Zoja wurde aus dem Gefängnis entlassen. Dass sie in Haft gewesen war, schien sie weniger aufzuregen als ihren Mann. »Sie wollten doch nur die Revolution schützen«, sagte sie. »Und man hat mir nichts getan. Es war, als hätte ich ein paar Tage in einem miesen Hotel gewohnt.«
An Zojas erstem Tag daheim, nachdem sie sich geliebt hatten, sagte Wolodja: »Ich muss dir etwas zeigen. Ich habe es aus Amerika mitgebracht.« Er wälzte sich vom Bett, öffnete eine Schublade und holte ein dickes Buch heraus. »Das ist der Sears-Roebuck-Katalog«, sagte er, setzte sich neben seine Frau und schlug den Wälzer auf. »Schau dir das mal an.«
Der Katalog öffnete sich auf einer Seite mit Damenkleidern.Die Fotomodelle waren unglaublich schlank, die Stoffe fröhlich und in leuchtenden Farben, gestreift, kariert oder uni, einige mit Rüschen, andere mit Spitzen. »Das hier gefällt mir«, sagte Zoja und tippte mit der Fingerspitze auf ein Kleid. »Sind zwei Dollar achtundneunzig viel?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Wolodja. »Das Durchschnittsgehalt beträgt fünfzig Dollar die Woche, und die Durchschnittsmiete ein Drittel davon.«
»Wirklich?« Zoja war erstaunt. »Dann können sich die meisten Leute diese Kleider ja problemlos leisten.«
»Genau. Na ja, die Bauern vielleicht nicht. Andererseits sind diese Kataloge extra für die Bauern erfunden worden, die hundert Kilometer oder mehr vom nächsten Geschäft entfernt wohnen.«
»Wie funktioniert das denn?«
»Du suchst dir aus dem
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