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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Glück gehabt; doch Carla und Frieda waren von ihren Vergewaltigern schwanger geworden.
    Frieda ließ abtreiben. Bei den Nazis hatte darauf die Todesstrafe gestanden, und das Gesetz war noch in Kraft. Also ging Frieda nicht in ein Krankenhaus, sondern zu einer älteren »Hebamme«, die den Job für fünf Zigaretten erledigte. Die katastrophalen hygienischen Verhältnisse bei dem Eingriff bescherten Frieda eine schwere Infektion. Sie wäre gestorben, hätte Carla kein Penicillin aus dem Krankenhaus gestohlen.
    Carla beschloss, ihr Kind zur Welt zu bringen.
    Ihre Gefühle für das Baby wechselten ständig von einem Extrem ins andere. Wenn sie unter Morgenübelkeit litt, verfluchte sie die Bestien, die sie geschändet hatten. Manchmal saß sie einfach nur da, die Hände auf dem Leib, starrte ins Leere und träumte von Babykleidung. Dann wieder fragte sie sich, ob das Gesicht des Babys sie an einen ihrer Vergewaltiger erinnern würde, sodass sie womöglich ihr eigenes Kind hasste.
    Sie hatte schreckliche Angst vor dem, was kam.
    Im Januar 1946 war Carla im achten Monat schwanger. Wie die meisten Deutschen fror sie, hatte Hunger und war völlig mittellos. Als ihre Schwangerschaft offensichtlich wurde, musste sie ihre Arbeit als Krankenschwester aufgeben und schloss sich dem Millionenheer der Arbeitslosen an. Alle zehn Tage wurden Essensrationen ausgegeben. Die tägliche Kalorienmenge war auf 1500 begrenzt. Natürlich musste trotzdem dafür bezahlt werden, doch selbst für Kunden mit Geld und Essensmarken gab es manchmal nichts zu kaufen.
    Carla hatte darüber nachgedacht, die Sowjets um einen Sonderstatus zu bitten, weil sie im Krieg als Spionin gearbeitet hatte. Aber das hatte auch Heinrich bereits versucht und dabei eine böse Erfahrung gemacht: Der Nachrichtendienst der Roten Armee hatte von ihm verlangt, dass er weiter für sie spionierte. Er sollte das US -Militär infiltrieren. Als Heinrich sich sträubte, wurden die Russen unangenehm und drohten, ihn in ein Arbeitslager zu schicken. Doch Heinrich kam mit einem blauen Auge davon, als er erklärte, er spreche kein Englisch und sei daher nutzlos für sie. Nachdem Carla ein paar Tage darüber nachgedacht hatte, kam sie zu dem Schluss, dass es besser sei, den Mund zu halten.
    Es gab noch immer keine Männer in ihrem Haus. Erik und Werner gehörten zu den Millionen deutscher Soldaten, die spurlos verschwunden waren. Vielleicht waren sie in Gefangenschaft, vielleicht waren sie tot. Oberst Beck hatte Carla erzählt, dass fast drei Millionen Deutsche bei den Kämpfen an der Ostfront gefallen waren. Viele weitere waren in den Kriegsgefangenenlagern der Sowjets gestorben – an Hunger, Kälte oder Krankheiten. Ein paar aber waren zurückgekommen. Sie waren entweder geflohen oder entlassen worden, weil sie zum Arbeiten zu krank gewesen waren. Nun gehörten sie zu den Millionen von Flüchtlingen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat durch Europa zogen. In der Hoffnung, etwas über den Verbleib von Erik und Werner zu erfahren, hatten Carla und Maud Briefe geschrieben und beim Roten Kreuz abgegeben, doch bis jetzt hatten sie keine Antwort erhalten.
    Was die Aussicht betraf, dass Walter bald zurückkehren könnte, war Carla hin und her gerissen. Sie liebte ihn noch immer und hoffte inständig, dass er lebte und dass es ihm gut ging, aber sie fürchtete sich auch vor dem Wiedersehen, wenn sie mit dem Kind eines Vergewaltigers schwanger war. Natürlich war es nicht ihre Schuld, aber sie schämte sich trotzdem.
    Berlin hatte sich verändert. In der Straße Unter den Linden, der einstigen Prachtstraße der Stadt und Flaniermeile der modischen Welt, hingen nun riesige Bilder von Lenin und Stalin. Die meisten Berliner Straßen waren inzwischen freigeräumt, und alle paar hundert Meter hatte man große Trümmerhaufen aufgeschüttet; das Material sollte wiederverwendet werden, falls die Deutschen je wieder in der Lage sein sollten, ihr Land neu aufzubauen. Ganze Stadtviertel lagen in Schutt und Asche. Allein die Trümmer wegzuräumen würde Jahre dauern. Und in den Ruinen verrotteten Tausende von Leichen; den ganzen Sommer hatte der süßliche, Übelkeit erregende Verwesungsgeruch in der Luft gehangen. Jetzt stank es nur noch nach Regenschauern.
    Mittlerweile war die Stadt in vier Sektoren aufgeteilt worden: in einen russischen, einen amerikanischen, einen britischen und einen französischen. Viele der noch intakten Gebäude waren von den Besatzern requiriert worden. Die Berliner

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