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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Katalog aus, was du willst, und schickst ihnen Geld. Dann dauert es ein paar Wochen, und der Postbote bringt dir, was du bestellt hast.«
    »Das ist ja, als wäre man ein Zar.« Zoja nahm ihm den Katalog ab und blätterte darin. »Oh, hier ist ja noch mehr.« Auf der nächsten Seite waren Kostümkombinationen aus Rock und Jacke zu sehen, die jeweils vier Dollar achtundneunzig kosteten. »Die sind auch sehr elegant.«
    »Blättere weiter«, forderte Wolodja sie auf.
    Zoja staunte über eine Seite nach der anderen mit Damenmänteln, Damenhüten, Damenschuhen und Damenunterwäsche. »Und die Leute können wirklich alles haben, was sie wollen?«
    »Wenn sie es bezahlen können.«
    »Meine Güte. Auf einer einzigen Seite gibt es mehr Angebote als in einem ganzen russischen Laden.«
    »Ja.«
    Langsam blätterte Zoja weiter. Für Männer gab es eine ebenso große Auswahl an Kleidung; für Kinder ebenfalls. Zoja legte den Finger auf einen dicken Wollmantel für Jungen, der fünfzehn Dollar kostete. »Bei dem Preis wird wohl jeder Junge in Amerika einen solchen Mantel haben.«
    »Schon möglich.«
    Es gab auch Möbel. Für fünfundzwanzig Dollar bekam man ein Bett. Hatte man fünfzig Dollar in der Woche zur Verfügung,war das sehr billig. Und so ging es weiter. Es gab Hunderte von Dingen, die in der Sowjetunion gar nicht zu bekommen waren: Spielsachen und Brettspiele, Kosmetikprodukte, Gitarren, elegante Stühle, elektrische Werkzeuge, schön gebundene Romane, Weihnachtsschmuck und elektrische Toaster.
    Sogar ein Traktor wurde angeboten. »Glaubst du«, fragte Zoja, »dass jeder Bauer in Amerika, der einen Traktor haben will, ihn auch bekommt, und das auch noch sofort?«
    »Wenn er das Geld dafür hat«, antwortete Wolodja.
    »Er muss seinen Namen nicht auf eine Liste schreiben und ein paar Jahre darauf warten?«
    »Nein.«
    Zoja klappte den Katalog zu und schaute ihren Mann ernst an. »Wenn die Leute das alles haben können«, sagte sie, »warum sollten sie dann den Wunsch haben, Kommunisten zu sein?«
    »Gute Frage«, erwiderte Wolodja.

K A P I T E L  2 2
    1946
    Die Kinder von Berlin hatten ein neues Spiel mit Namen »Frau, komm«. Es gab Dutzende Spiele, bei denen die Jungs die Mädchen jagten, aber dieses Spiel war anders, wie Carla bemerkte: Die Jungen rotteten sich zusammen und suchten sich ein Mädchen als Ziel aus. Wenn sie es fingen, riefen sie »Frau, komm!«, warfen es zu Boden und hielten es fest. Dann legte sich einer der Jungen auf das Mädchen und simulierte Geschlechtsverkehr. Kinder von sieben, acht Jahren, die eigentlich nichts über Vergewaltigungen hätten wissen sollen, spielten dieses Spiel, weil sie gesehen hatten, was Rotarmisten mit deutschen Frauen getan hatten. Jeder Russe kannte diese eine Phrase auf Deutsch: »Frau, komm.«
    Was war das nur mit den Russen? Carla kannte keine Frau, die von einem französischen, amerikanischen oder kanadischen Soldaten vergewaltigt worden war, obwohl es solche Fälle mit Sicherheit auch gegeben hatte. Doch jede Frau zwischen fünfzehn und fünfundfünfzig, die Carla kannte, war mindestens einmal von einem Rotarmisten vergewaltigt worden: ihre Mutter, ihre Freundin Frieda, Friedas Mutter, die Zofe Ada …
    Und doch hatten sie Glück gehabt, denn sie waren noch am Leben. Manche Frauen waren gestorben, nachdem sie stundenlang von Dutzenden Männern missbraucht worden waren. Carla hatte sogar von einem Mädchen gehört, das totgebissen worden war.
    Nur Rebecca Rosen war dieses Schicksal erspart geblieben. An dem Tag, als das Jüdische Krankenhaus in Berlin befreit worden war, hatten die von Ulrichs Rebecca bei sich aufgenommen. Zwar hatten die meisten Fenster keine Scheiben mehr, und die Außenwand war von Einschusslöchern übersät; aber wenigstens schützte es vor Wind und Wetter.
    Das Haus stand im sowjetischen Sektor, aber Rebecca wusstenicht, wo sie sonst hätte hingehen sollen. Monatelang versteckte sie sich wie eine Verbrecherin auf dem Speicher und kam nur spät am Abend herunter, wenn die Russen in ihrem Suff eingeschlafen waren. Wann immer sie konnte, ging Carla ein paar Stunden zu ihr hinauf; dann spielten sie Karten und erzählten einander Geschichten aus ihrem Leben. Carla wäre gern Rebeccas große Schwester gewesen, aber das Mädchen behandelte sie eher wie eine Mutter.
    Dann fand Carla heraus, dass sie tatsächlich Mutter wurde.
    Maud und Monika waren in den Fünfzigern und damit zu alt, um noch Kinder zu bekommen, und Ada hatte schlicht

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