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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Mein Vater hatte einen Bruder namens Lew. Er ist 1915 nach Amerika gekommen.«
    »Nein, dann kommt es nicht hin. Lieutenant Peshkov ist viel jünger. Aber erzähl mal, was machst du hier?«
    Wolodja lächelte. »Ich wollte dich besuchen.« Bevor Frunze nach dem Grund fragen konnte, fuhr Wolodja rasch fort: »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du Parteisekretär der SPD in Neukölln.« Das war der zweite Schritt: Nachdem er dafürgesorgt hatte, dass sie sich freundlich gegenüberstanden, erinnerte er Frunze an dessen jugendlichen Idealismus.
    »Diese Erfahrung hat mich davon überzeugt, dass der demokratische Sozialismus nicht funktioniert«, erwiderte Frunze. »Gegen die Nazis waren wir völlig machtlos. Erst der Sowjetunion ist es gelungen, sie aufzuhalten.«
    Es freute Wolodja, dass Frunze diesen Sachverhalt vollkommen richtig einschätzte. Wichtiger aber war, dass das Leben in den USA Frunze offenbar nicht seiner politischen Ideale beraubt hatte.
    »Wir wollten noch ein paar Drinks in einer Bar um die Ecke nehmen«, sagte Alice. »Freitagabends treffen sich dort viele Wissenschaftler. Möchten Sie nicht mitkommen?«
    »Ich fürchte, heute geht es nicht«, antwortete Wolodja. Mit den Frunzes in der Öffentlichkeit gesehen zu werden war so ungefähr das Letzte, was er wollte; er war eigentlich schon viel zu lange mit ihnen in diesem Restaurant. Es war an der Zeit für den dritten Schritt: Frunze musste an seine schreckliche Schuld erinnert werden. Wolodja beugte sich vor und senkte die Stimme. »Sag mal, Willi, hast du gewusst, dass die Amerikaner eine Atombombe auf Japan werfen?«
    Schweigen. Wolodja hielt den Atem an. Offenbar hatte er Frunzes wunden Punkt getroffen. Der Mann musste innerlich von Schuld zerfressen sein.
    Einen Augenblick befürchtete er, dass er zu weit gegangen war. Frunze sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Dann atmete er tief durch und riss sich zusammen. »Nein, das wusste ich nicht«, antwortete er. »Das wusste keiner von uns.«
    Gereizt warf Alice ein: »Wir dachten, das amerikanische Militär würde nur mit der Bombe drohen, um die Japaner zur Kapitulation zu zwingen.«
    Also hatte auch Alice im Vorfeld von der Bombe gewusst, erkannte Wolodja. Das wunderte ihn nicht. Männern fiel es schwer, solche Dinge vor ihren Frauen zu verbergen. »Wir haben zwar mit einer Zündung gerechnet«, fuhr sie fort, »aber auf einer unbewohnten Insel, zur Abschreckung, oder wenigstens über einem militärischen Ziel, aber nicht über einer dicht besiedelten Stadt.«
    »Dann wäre es vielleicht noch zu rechtfertigen gewesen«, sagte Frunze, »aber …« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Niemand hat damit gerechnet, dass sie die Bombe über einer Stadt wie Hiroshima abwerfen und achtzigtausend Männer, Frauen und Kinder töten.«
    Wolodja nickte. »Ich dachte mir schon, dass du so denkst.« Tatsächlich hatte er von ganzem Herzen darauf gehofft.
    »Wer würde nicht so empfinden?«, erwiderte Frunze.
    »Ich möchte dir eine noch wichtigere Frage stellen.« Das war Schritt vier. »Werden sie es wieder tun?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Frunze. »Vielleicht. Gott vergib uns. Ja, vielleicht.«
    Wolodja verbarg seine Zufriedenheit: Frunze glaubte, an vergangenen und zukünftigen Zündungen der Atombombe eine Mitschuld zu tragen.
    Er nickte. »Das vermuten wir auch.«
    »Wer ist ›wir‹?«, wollte Alice wissen.
    Sie war schlau und vermutlich wesentlich weitblickender als ihr Mann. Sie würde nicht so leicht zu täuschen sein. Wolodja beschloss, es gar nicht erst zu versuchen. Er musste das Risiko eingehen, ihr gegenüber ehrlich zu sein. »Eine berechtigte Frage«, sagte er. »Und ich bin nicht so weit gefahren, um einen alten Freund zu täuschen. Ich bin Major beim militärischen Geheimdienst der UdSSR .«
    Die beiden starrten ihn an. Der Gedanke musste ihnen eigentlich schon gekommen sein; dennoch waren sie sichtlich überrascht.
    »Ich muss euch etwas sagen«, fuhr Wolodja fort. »Etwas ungeheuer Wichtiges. Können wir irgendwo ungestört reden?«
    Die Frunzes blickten unschlüssig drein. Wilhelm sagte: »In unserer Wohnung vielleicht?«
    »Die ist vermutlich vom FBI verwanzt.«
    Frunze hatte ein wenig Geheimdiensterfahrung, doch Alice war schockiert. »Glauben Sie wirklich?«, fragte sie ungläubig.
    »Ja. Können wir aus der Stadt fahren?«
    »Es gibt da ein Fleckchen, wo wir abends manchmal hinfahren, um uns den Sonnenuntergang anzuschauen«, sagte

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