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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Hotel und hatte mit Sicherheit etwas mit dem Staatsstreich zu tun.
    Wolodjas Chef, General Lemitow, betrachtete den Coup als Katastrophe für das Bild der UdSSR in der Welt. Masaryk hatte bewiesen, dass ein osteuropäisches Land auch im Schatten der Sowjetunion frei und unabhängig sein konnte. Ihm war der Spagat zwischen einer kommunistischen, moskaufreundlichen Regierung und einer bürgerlichen Demokratie gelungen. Und das war perfekt gewesen, denn so hatten die Sowjets bekommen, was sie wollten, und die Amerikaner waren beruhigt. Aber dieses Gleichgewicht war ins Wanken geraten.
    »Die bourgeoisen Parteien sind zerschmettert worden!«, krächzte Ilja eines Abends in der Hotelbar, als er neben Wolodja saß.
    »Hast du gesehen, was im amerikanischen Senat passiert ist?«, erwiderte Wolodja. »Vandenberg, eigentlich ein alter Isolationist, hat eine achtzigminütige Rede für den Marshallplan gehalten und donnernden Applaus dafür geerntet.«
    Aus George Marshalls verschwommener Idee war ein Plan geworden, größtenteils dank des Geschicks des britischen Außenministers Ernie Bevin. Wolodjas Meinung nach gehörte Bevin der gefährlichsten Sorte der Antikommunisten an: Er war ein Sozialdemokrat aus der Arbeiterklasse. Man durfte sich von seinem jovialen Äußeren nicht täuschen lassen. Mit schier unglaublicher Schnelligkeit hatte er eine Konferenz in Paris organisiert, die George Marshalls Rede in Harvard im Namen aller Europäer begrüßt hatte.
    Von seinen Spionen im britischen Außenministerium hatte Wolodja erfahren, dass Bevin fest entschlossen war, Deutschland in den Marshallplan mit einzubeziehen, die UdSSR jedoch nicht. Und Stalin war Bevin in die Falle gegangen, indem er den osteuropäischen Staaten befohlen hatte, Marshalls Hilfsangebote abzulehnen. Und nun schien die sowjetische Geheimpolizei alles zu tun, um dafür zu sorgen, dass Marshalls Gesetzentwurf durch den Kongress kam.
    »Der Senat hat Marshalls Idee eigentlich ablehnen wollen«, sagte Wolodja zu Ilja. »Die amerikanischen Steuerzahler wollen das Gesetz nicht. Aber der Staatsstreich hier in Prag hat sie davon überzeugt, dass es nicht anders geht, denn der europäische Kapitalismus droht zusammenzubrechen.«
    Entrüstet erklärte Ilja: »Die bourgeoisen tschechischen Parteien wollten das amerikanische Bestechungsgeld annehmen.«
    »Und wir hätten sie lassen sollen«, sagte Wolodja. »Das wäre vielleicht die beste Möglichkeit gewesen, das Ganze zu sabotieren. Der Kongress hätte den Marshallplan abgelehnt, denn sie wollen nicht, dass auch Kommunisten von den Geldern profitieren.«
    »Der Marshallplan ist ein imperialistischer Trick!«
    »Ja, das ist er«, räumte Wolodja ein. »Und ich fürchte, er funktioniert. Unsere einstigen Verbündeten formieren einen antisowjetischen Block.«
    »Wenn sich jemand dem Kommunismus in den Weg stellt, muss man sich entsprechend um ihn kümmern.«
    »In der Tat.« Es war schon erstaunlich, mit welcher Sicherheit Menschen wie Ilja stets die falschen politischen Schlüsse zogen.
    »Und ich muss jetzt ins Bett.«
    Es war erst zehn, doch Wolodja ging ebenfalls. Im Zimmer lag er noch eine Zeit lang wach, dachte an Zoja und Kotja und wünschte sich, er könne ihnen einen Gutenachtkuss geben.
    Dann kehrten seine Gedanken wieder zu seiner Mission zurück. Er hatte Jan Masaryk, das Symbol der tschechoslowakischen Unabhängigkeit, vor zwei Tagen kennengelernt, bei einer Zeremonie am Grab seines Vaters, Thomas Masaryk, des Gründers und ersten Präsidenten der Tschechoslowakei. In einem Mantel mit Pelzkragen, den barhäuptigen Kopf dem fallenden Schnee ausgesetzt, hatte Masaryk der Zweite einen niedergeschlagenen, deprimierten Eindruck gemacht.
    Wenn man ihn davon überzeugen könnte, Außenminister zu bleiben, überlegte Wolodja, waren vielleicht Kompromisse möglich. Die Tschechoslowakei könnte nach innen eine kommunistische Regierung haben, international aber neutral bleiben oder wenigstens leicht antiamerikanisch. Masaryk verfügte über das diplomatische Geschick und die internationale Glaubwürdigkeit, dass ihm dieser Drahtseilakt gelingen könnte.
    Wolodja beschloss, Lemitow morgen einen entsprechenden Vorschlag zu machen.
    Er schlief unruhig und wachte noch vor sechs Uhr morgens auf, als in seinem Kopf ein Alarm schrillte. Es war das Gespräch mit Ilja gestern. Wolodja ging es in Gedanken noch einmal durch. Als Ilja gesagt hatte: »Wenn sich jemand dem Kommunismus in den Weg stellt, muss man sich entsprechend um

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