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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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West-Country-Dialekt.
    »Das hat er bestritten«, antwortete Lloyd. »Glauben Sie denn, es könnte funktionieren?«
    »Ich halte es für die beste Idee, die ich während drei verdammter Wochen in Moskau gehört habe. Wenn es ihm ernst ist, richte ich es ein, dass wir informell gemeinsam zu Mittag essen, nur Marshall und sein junger Mitarbeiter mit Ihnen und mir.«
    »Ich kümmere mich sofort darum.«
    »Aber sagen Sie niemandem etwas. Wir wollen nicht, dass die Sowjets Wind davon bekommen. Sie würden uns beschuldigen, gegen sie zu konspirieren, und sie hätten recht.«
    Am nächsten Tag trafen sie sich in der Residenz des amerikanischen Botschafters am Spasopeskowskaja-Platz 10, einem extravaganten neoklassizistischen Gebäude, das vor der Revolution errichtet worden war. Marshall war groß und schlank, jeder Zoll ein Soldat; Bevin war rundlich und kurzsichtig, ihm hing ständig eine Zigarette von den Lippen – doch sie verstanden sich auf der Stelle. Beide waren Männer der einfachen, offenen Worte. Stalin hatte Bevin einmal für eine Sprache gerügt, die eines Gentlemans nicht würdig sei, und auf diese Auszeichnung war der britische Außenminister sehr stolz. Unter Deckengemälden und Kronleuchtern machten sie sich an die Aufgabe, Deutschland ohne die Hilfe der UdSSR wiederzubeleben.
    Über die Grundsätze waren sie sich rasch einig: eine neue Währung, die Vereinigung der britischen, amerikanischen und – falls möglich – französischen Besatzungszone, die Demilitarisierung Westdeutschlands, Wahlen und ein neuer transatlantischer Militärpakt. Dann sagte Bevin geradeheraus: »Nichts davon wird funktionieren, wissen Sie.«
    Marshall blickte ihn verwundert an. »Dann begreife ich nicht, wieso wir überhaupt darüber sprechen.«
    »Europa steckt in einer Rezession. Dieser Plan wird scheitern, wenn die Leute hungern. Der beste Schutz gegen Kommunismus ist Wohlstand. Stalin weiß das – deshalb möchte er, dass Deutschland arm bleibt.«
    »Ganz meine Meinung.«
    »Aus diesem Grund müssen wir Europa wiederaufbauen. Aber mit leeren Händen gelingt uns das nicht. Wir benötigen Traktoren, Drehbänke, Bagger, Lokomotiven und Waggons – aber nichts davon können wir uns leisten.«
    Marshall begriff sofort, worauf Bevin hinauswollte. »Die Amerikaner sind nicht mehr bereit, Europa noch mehr zuzuschießen«, sagte er.
    »Das ist verständlich. Trotzdem muss es eine Möglichkeit geben, wie die USA uns das Geld leiht, das wir brauchen, um unseren Bedarf bei Ihnen zu kaufen.«
    Schweigen breitete sich aus.
    Marshall hasste übereilte Worte, doch die Pause dauerte selbst für ihn sehr lange. Schließlich antwortete er: »Das hört sich vernünftig an. Ich werde sehen, was ich tun kann.«
    Die Konferenz dauerte sechs Wochen. Als sämtliche Teilnehmer wieder nach Hause fuhren, war es noch immer zu keiner Entscheidung gekommen.

    Mit einem Jahr bekam Eva Williams die Backenzähne. Es war eine schmerzhafte Angelegenheit. Lloyd und Daisy konnten nicht viel für sie tun. Ihr ging es schlecht; sie konnte nicht schlafen und ließ ihre Eltern nicht schlafen, sodass es auch ihnen nicht gut ging.
    Daisy besaß viel Geld, doch sie wohnten bescheiden. Sie hatten sich ein schmuckes Reihenhaus in Hoxton gekauft; ihre Nachbarn waren ein Krämer und ein Bauhandwerker. Sie legten sich ein kleines Auto für die Familie zu, einen neuen Morris Eight mit einer Spitzengeschwindigkeit von fast sechzig Meilen pro Stunde. Daisy kaufte sich nach wie vor hübsche Kleider, doch Lloyd besaß nur drei Anzüge: einen für Abendgesellschaften, einen gestreiften für das Unterhaus und einen aus Tweed für die Wahlbezirksarbeit am Wochenende.
    Eines Abends saß Lloyd im Pyjama da und versuchte die quengelnde Evie in den Schlaf zu wiegen und gleichzeitig durch die Illustrierte Life zu blättern. Ihm fiel ein beeindruckendes Foto auf, in Moskau aufgenommen. Es zeigte eine alte Russin mit zerfurchtem Gesicht unter einem Kopftuch; ihr Mantel war wie ein Postpaket mit einer Schnur zugebunden. Sie schaufelte die Straße vom Schnee frei. So, wie das Licht auf sie fiel, verlieh es ihr eine Aura der Zeitlosigkeit, als stände sie schon seit tausend Jahren dort. Lloyd suchte nach den Namen des Fotografen undentdeckte, dass es Woody Dewar war, den er auf der Konferenz kennengelernt hatte.
    Das Telefon klingelte. Er nahm ab und hörte Ernie Bevins Stimme. »Hören Sie gerade Rundfunk?«, fragte Bevin. »Marshall hat eine Rede gehalten.« Er legte auf, ohne eine

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