Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
eine Frau.«
    »Nichts für ungut, aber die meisten Männer an der Uni sind schwul.«
    Lloyd wusste selbst, dass es an der Universität von Cambridge viele Homosexuelle gab, doch dass Ruby darauf zu sprechen kam, erschreckte ihn. Ruby war bekannt für ihre Unverblümtheit, doch diese Bemerkung war selbst aus ihrem Mund schockierend. Lloyd wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte, also sagte er nichts.
    »Du bist doch nicht einer von denen, oder?«
    »Nein! Sei nicht albern.«
    »Du brauchst nicht beleidigt zu sein. Du siehst gut genug aus, um schwul zu sein, nur die zerdrückte Nase passt nicht.«
    Er lachte. »So was nennt man wohl ein zweischneidiges Kompliment.«
    »Nein, es stimmt. Du siehst aus wie Douglas Fairbanks junior.«
    »Oh, danke. Aber ich bin nicht schwul.«
    »Hast du eine Freundin?«
    Langsam wurde es peinlich. »Nein, zurzeit nicht.« Er blickte betont auf seine Uhr und hielt demonstrativ nach dem Zug Ausschau.
    »Warum nicht?«
    »Weil ich der Richtigen noch nicht begegnet bin.«
    »Oh, herzlichen Dank, das hört man gern.«
    Er sah sie an. Sie meinte es nur halb im Scherz. Lloyd erschreckte die Vorstellung, sie könnte seine Bemerkung persönlich genommen haben. »Ich wollte damit nicht sagen …«
    »Doch, wolltest du. Ist aber egal. Da kommt der Zug.«
    Die Lokomotive fuhr in den Bahnhof ein und kam in einer Dampfwolke zum Stehen. Die Türen öffneten sich, und die Fahrgäste traten auf den Bahnsteig: Studenten in Tweedjacken, Bauersfrauen, die einkaufen wollten, Arbeiter mit flachen Mützen. Lloyd suchte die Menge nach seiner Mutter ab. »Sie fährt in der dritten Klasse«, sagte er. »Aus Prinzip.«
    »Kommst du auf meine Party? Ich feiere meinen einundzwanzigsten Geburtstag.«
    »Aber sicher.«
    »Meine Freundin hat eine kleine Wohnung in der Market Street, und die Vermieterin ist taub.«
    Lloyd war nicht ganz wohl bei dieser Einladung, und er hatte mit der Antwort gezögert; dann erschien wie zu seiner Rettung seine Mutter, hübsch wie ein Singvogel in ihrem roten Sommermantel und dem kecken kleinen Hut. Sie umarmte und küsste ihn. »Du siehst gut aus, mein Lieber«, sagte sie, »aber für das nächste Semester muss ich dir wohl einen neuen Anzug kaufen.«
    »Der ist noch gut, Mam.« Lloyd hatte ein Stipendium, von dem er die Studiengebühren und die Lebenshaltungskosten bestritt, aber Kleidergeld war nicht vorgesehen. Als er das Studium in Cambridge aufgenommen hatte, hatte seine Mutter ihm von ihren Ersparnissen einen Tweedanzug für tagsüber und einen Abendanzug für offizielle Diners gekauft. Lloyd achtete auf sein Äußeres und sorgte dafür, dass er stets ein sauberes weißes Hemd mit makellos gebundener Krawatte trug und dass immer ein gefaltetes weißes Einstecktuch aus der Brusttasche lugte: Einer seiner Ahnen musste ein Dandy gewesen sein. Den Tweedanzug hatte er zwei Jahre lang täglich getragen, und das sah man ihm an, obwohl er sorgfältiggebügelt war. Lloyd wünschte sich einen neuen Anzug, wollte aber nicht, dass seine Mutter wieder an ihre Ersparnisse ging.
    »Wir werden sehen.« Sie wandte sich mit einem warmherzigen Lächeln Ruby zu und reichte ihr die Hand. »Ich bin Eth Leckwith«, sagte sie mit der ungekünstelten Grazie einer Herzogin, die zu Besuch kommt.
    »Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Ruby Carter.«
    »Studieren Sie ebenfalls, Ruby?«
    »Nein, ich bin Hausmädchen auf Chimbleigh, einem großen Landhaus.« Ruby wirkte ein wenig beschämt bei diesem Geständnis. »Es liegt fünf Meilen vor der Stadt, aber meistens kann ich mir ein Fahrrad leihen.«
    »Na so was«, erwiderte Ethel. »Als ich in Ihrem Alter war, habe ich als Haushälterin in einem Waliser Landhaus gearbeitet.«
    Ruby staunte. »Sie, eine Dienstbotin? Und jetzt sind Sie Parlamentsabgeordnete!«
    »So etwas macht die Demokratie aus.«
    »Ruby und ich haben die heutige Versammlung gemeinsam organisiert«, sagte Lloyd.
    »Und wie läuft es?«, fragte seine Mutter.
    »Ausverkauft. Wir mussten sogar in einen größeren Saal umziehen.«
    »Ich habe dir ja gesagt, dass es klappt.«
    Die Versammlung war Ethels Idee gewesen. Ruby Carter und viele andere in der Labour Party hatten eine Protestkundgebung veranstalten und durch die Stadt marschieren wollen. Zunächst hatte Lloyd zugestimmt. »Dem Faschismus muss man bei jeder Gelegenheit öffentlich entgegentreten«, hatte er gesagt.
    Ethel jedoch hatte ihm abgeraten. »Wenn wir marschieren und Parolen rufen, wirken wir wie die Faschisten«, hatte

Weitere Kostenlose Bücher