Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
auf den Yacht-Club-Ball ausführen.
Eintrittskarten zu bekommen war außerordentlich schwierig gewesen, aber Greg hatte einen Schulfreund bestochen.
Für Jacky kaufte er ein neues Kleid aus rosarotem Satin. Von seiner Mutter erhielt er ein großzügiges Taschengeld, und Lev steckte ihm hin und wieder fünfzig Dollar zu, sodass er immer mehr Geld besaß, als er brauchte.
In seinem Hinterkopf meldete sich eine warnende Stimme: Jacky wäre die einzige Schwarze auf dem Ball, die keine Drinks servierte. Sie ging nur sehr ungern, aber Greg hatte sie so lange bekniet, bis sie nachgegeben hatte. Die jüngeren Männer würden ihn beneiden, die älteren jedoch könnten feindselig reagieren, das war Greg klar. Man würde sich die Mäuler zerreißen. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass Jacky mit ihrer Schönheit und ihrem Charme viele Vorurteile überwinden konnte. Wie konnte ihr jemand widerstehen? Aber wenn irgendein Dummkopf zu viel trank und sie beleidigte, würde Greg ihm mit den Fäusten eine Lektion erteilen.
Als er darüber nachdachte, hörte er seine Mutter sagen: »Sei bloß kein liebestoller Trottel.« Aber ein Mann konnte schließlich nicht sein Leben lang auf seine Mutter hören.
Als Greg im Smoking und mit weißer Krawatte über die Canal Street schlenderte, freute er sich darauf, Jacky in ihrem neuen Kleid zu sehen. Vielleicht würde er vor ihr niederknien und den Saum heben, bis er ihren Strumpfgürtel und ihr Höschen sehen konnte.
Er betrat das Gebäude, ein altes Wohnhaus, das in Apartments unterteilt war. Auf der Treppe lag ein fadenscheiniger roter Teppich, und es roch nach würziger Küche. Er schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf.
Sie war leer.
Merkwürdig. Wohin sollte Jacky ohne ihn gehen?
Mit bangem Herzen öffnete Greg den Kleiderschrank. Das rosarote Ballkleid hing dort einsam und allein. Die anderen Kleider waren verschwunden.
»Nein!«, rief er. Wie konnte das sein?
Auf dem wackligen Fichtenholztisch lag ein Briefumschlag. Greg nahm ihn auf und entdeckte darauf seinen Namen in Jackys sauberer Schulmädchenschrift. Entsetzen packte ihn.
Mit zitternden Händen riss er das Kuvert auf und las die kurze Nachricht.
Mein Darling Greg!
Die letzten drei Wochen waren die glücklichste Zeit meines Lebens.
Ich wusste im Grunde zwar immer, dass wir niemals heiraten würden, aber es war schön, so zu tun.
Du bist ein fabelhafter Junge und wirst einmal ein großartiger Mann sein, wenn Du Deinem Vater nicht allzu sehr nachschlägst.
Hatte sein Vater herausgefunden, dass Jacky hier wohnte, und sie gezwungen, das Apartment zu verlassen? Das würde er doch nicht tun … oder?
Leb wohl, und vergiss mich nicht.
Dein Geschenk
Jacky
Greg knüllte den Brief zusammen und brach in Tränen aus.
»Du siehst toll aus«, sagte Eva Rothmann zu Daisy Peshkov. »Wenn ich ein Junge wäre, würde ich mich sofort in dich verlieben.«
Daisy lächelte. Eva war bereits ein klein wenig in sie verliebt. Und Daisy sah in der Tat wunderschön aus in ihrem Ballkleid aus eisblauem Seidenorgandy, der das Blau ihrer Augen vertiefte. Der Saum des Kleides war mit Rüschen besetzt und vorn knöchellang,während es sich hinten spielerisch bis auf Höhe der Wadenmitte hob und einen verlockenden Blick auf Daisys Beine in hauchfeinen Strümpfen gestattete.
Um den Hals trug sie eine Saphirkette, die ihrer Mutter gehörte. »Dein Vater hat sie mir gekauft, damals, als er noch gelegentlich nett zu mir war«, sagte Olga. »Aber beeil dich jetzt, Daisy, deinetwegen kommen wir alle zu spät.«
Olga trug matronenhaftes Marineblau, und Eva ging in Rot, das ihrem dunklen Teint bekam.
In einer Wolke der Glückseligkeit schwebte Daisy die Treppe hinunter.
Sie verließen das Haus. Henry, der Gärtner, fungierte heute Abend als Chauffeur. Er öffnete die Türen des alten schwarzen Stutz.
Es war Daisys großer Abend. Charlie Farquharson würde offiziell um ihre Hand anhalten. Er würde ihr einen Brillantring darbieten, ein Familienerbstück – Daisy hatte ihn gesehen und abgesegnet; er war nur geändert worden, damit er ihr passte. Sie würde seinen Antrag annehmen, und dann würden sie allen Gästen auf dem Ball ihre Verlobung bekannt geben.
Als Daisy in den Wagen stieg, fühlte sie sich wie Aschenbrödel.
Nur Eva hatte Zweifel geäußert. »Ich dachte, du schnappst dir einen Kerl, der besser zu dir passt«, hatte sie gesagt.
»Du meinst einen Mann, der sich von mir nicht herumkommandieren lässt«, hatte Daisy erwidert.
»Nein,
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