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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Kapelle und betraten sie durch die Hintertür. In einer Art Gemeindesaal wartete Robert von Ulrich, der in seinem auffälligen, grün und braun karierten Anzug mit gestreifter Krawatte erstaunlich britisch aussah. Er erhob sich, und Ethel nahm ihn in die Arme.
    In tadellosem Englisch sagte Robert: »Meine liebe Ethel, was für ein charmanter Hut.«
    Lloyd stellte seine Mutter den weiblichen Mitgliedern der Labour Party vor, die Kannen voll Tee und Teller mit Keksen vorbereiten, damit sie nach der Versammlung gereicht werden konnten. Da Lloyd schon oft gehört hatte, wie Ethel sich beschwerte, dass die Organisatoren politischer Versammlungen zu glauben schienen, Parlamentsabgeordnete bräuchten keine Toilette mehr zu benutzen, sagte er: »Ruby, ehe wir anfangen: Könntest du meiner Mutter zeigen, wo die Damenwaschräume sind?« Die beiden Frauen gingen davon.
    Lloyd setzte sich neben Robert. »Wie geht das Geschäft?«, erkundigte er sich.
    Robert betrieb wieder ein Restaurant, das bei den Homosexuellen, über die Ruby sich beschwert hatte, besonders beliebt war. Irgendwie hatte Robert gewusst, dass das Cambridge der Dreißigerjahre homosexuellen Männern ebenso sehr das richtige Klima bot wie Berlin in den Zwanzigern. Sein neues Lokal trug den gleichen Namen wie das alte: Bistro Robert. »Das Geschäft geht gut«, antwortete er, doch ein Schatten huschte über sein Gesicht, ein kurzer, intensiver Ausdruck der Angst. »Hoffentlich kann ich diesmal behalten, was ich aufgebaut habe.«
    »Wir tun unser Bestes, um die Faschisten abzuwehren, und Versammlungen wie die heutige werden dazu beitragen«, sagte Lloyd. »Deine Rede wird eine große Hilfe sein – sie wird den Menschen die Augen öffnen.« Robert wollte über seine persönlichen Erfahrungen im Faschismus sprechen. »Viele sagen, dass so etwas hier unmöglich sei, aber sie irren sich.«
    Robert nickte grimmig. »Faschismus ist eine Lüge, aber eine verlockende.«
    Lloyd stand der Aufenthalt in Berlin, der nun drei Jahre zurücklag, noch deutlich vor Augen. »Ich frage mich oft, was aus dem alten Bistro Robert geworden ist.«
    »Ein Freund hat es mir geschrieben«, sagte Robert mit trauriger Stimme. »Von den alten Gästen geht keiner mehr hin. Den Weinkeller haben die Brüder Macke versteigert. Heutzutage besteht das Publikum vor allem aus Polizisten und Beamten im mittleren Dienst.« Er wirkte noch gequälter, als er hinzufügte: »Sie benutzenkeine Tischtücher mehr.« Übergangslos wechselte er das Thema. »Möchtest du auf den Trinity Ball gehen?«
    Die meisten Colleges veranstalteten Sommerbälle, um das Ende der Prüfungszeit zu feiern. Diese Bälle und die dazugehörigen Partys und Picknicks bildeten die May Week, die »Maiwoche«, die aber erst im Juni stattfand. Der Trinity Ball war bekannt für den Aufwand, mit dem er betrieben wurde. »Ich würde gern hingehen, kann es mir aber nicht leisten. Der Eintritt kostet zwei Guineas.«
    »Ich habe eine Freikarte«, sagte Robert. »Du kannst sie haben. Ein paar Hundert betrunkene Studenten, die zu Jazzmusik tanzen, entsprechen ziemlich genau meiner Vorstellung von der Hölle.«
    Lloyd fühlte sich versucht. »Aber ich habe keinen Frack.« Auf Collegebällen musste ein Frack mit weißer Krawatte getragen werden.
    »Ich kann dir meinen borgen. An der Taille wird er dir ein bisschen weit sein, aber wir sind gleich groß.«
    »Dann gehe ich hin. Ich danke dir sehr.«
    Ruby kam zurück. »Deine Mutter ist wunderbar«, sagte sie zu Lloyd. »Ich wusste gar nicht, dass sie mal Hausmädchen war.«
    »Ich kenne Ethel seit über zwanzig Jahren«, sagte Robert. »Sie ist außergewöhnlich.«
    »Jetzt kann ich verstehen, weshalb du die Richtige noch nicht gefunden hast«, sagte Ruby zu Lloyd. »Du suchst jemanden wie sie, und davon gibt es nicht viele.«
    »Zum Teil hast du recht«, erwiderte Lloyd. »Jemanden wie sie gibt es kein zweites Mal.«
    Ruby verzog gequält das Gesicht.
    »Was ist?«, fragte Lloyd.
    »Zahnschmerzen.«
    »Dann musst du zum Zahnarzt.«
    Sie blickte ihn an, als hätte er etwas Dummes gesagt. Lloyd begriff, dass sie vom Lohn eines Hausmädchens keinen Zahnarzt bezahlen konnte, und blickte verlegen weg.
    Er ging zur Tür und sah in den Hauptsaal: ein kahler, rechteckiger Raum mit weiß gestrichenen Wänden, wie in vielen Freikirchen. Der Tag war warm, und die Fenster standen offen. Die Stuhlreihen waren besetzt, die Zuhörerschaft wartete gespannt.
    Als Ethel zurückkam, sagte Lloyd: »Wenn es allen

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