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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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recht ist,möchte ich die Versammlung eröffnen. Erst wird Robert seine Geschichte erzählen, danach hält meine Mutter ihren Vortrag.«
    Alle stimmten zu.
    »Ruby, würdest du die Faschisten im Auge behalten? Gib mir Bescheid, sobald irgendwas passiert.«
    Ethel runzelte die Stirn. »Ist das wirklich nötig?«
    »Wir sollten nicht darauf vertrauen, dass diese Leute Wort halten.«
    »Sie sammeln sich eine Viertelmeile die Straße rauf«, sagte Ruby. »Mir macht es nichts aus, hin- und herzurennen.«
    Sie verließ die Kapelle durch die Hintertür, während Lloyd die anderen in die Kirche führte. Eine Bühne gab es nicht, nur ein Tisch und drei Stühle standen an einem Ende des Saals, daneben ein Rednerpult. Während Ethel und Robert sich setzten, ging Lloyd zum Pult, begleitet von gedämpftem Applaus.
    »Der Faschismus ist auf dem Vormarsch«, begann er. »Und er ist gefährlich attraktiv. Er kleidet sich in unechten Patriotismus – so, wie die Faschisten unechte Militäruniformen tragen. Und er gibt den Arbeitslosen falsche Hoffnung.«
    Die britische Regierung war zu Lloyds Bestürzung darauf aus, faschistische Regimes zu beschwichtigen. Sie bestand aus einer von den Konservativen beherrschten Koalition mit ein paar Liberalen und abtrünnigen Labour-Ministern, die mit ihrer Partei gebrochen hatten. Nur wenige Tage nach der Wiederwahl im vergangenen November hatte der Außenminister vorgeschlagen, einen großen Teil Abessiniens den italienischen Invasoren und ihrem »Duce« Benito Mussolini zu überlassen.
    Noch schlimmer war, dass Deutschland sich wiederbewaffnete und zunehmend aggressiver auftrat. Erst vor wenigen Monaten hatte Hitler gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags verstoßen, indem er das entmilitarisierte Rheinland besetzte, ohne dass ein einziges Land ihm Einhalt geboten hatte.
    Jede Hoffnung, der Faschismus könne nur eine zeitweilige Verirrung sein, war längst verflogen. Lloyd war überzeugt, dass demokratische Staaten wie Frankreich und Großbritannien sich kriegsbereit machen mussten. Aber davon sagte er in seiner heutigen Rede nichts, denn seine Mutter und der Großteil der Labour Party standen gegen die britische Aufrüstung und hofften, derVölkerbund wäre in der Lage, mit den Diktatoren fertigzuwerden. Sie wollten um jeden Preis vermeiden, dass sich das furchtbare Gemetzel des Großen Krieges wiederholte.
    Natürlich hoffte auch Lloyd, dass es zu einer unblutigen Lösung kam, fürchtete jedoch, dass diese Hoffnung unrealistisch war. Deshalb bereitete er sich auf den Krieg vor. In der Schule war er Offizierskadett gewesen und in Cambridge dem Officer Training Corps beigetreten – als einziger Junge aus der Arbeiterschicht und ganz sicher als einziges Mitglied der Labour Party, das sich dort zum Reserveoffizier ausbilden ließ.
    Nun setzte er sich, begleitet von gedämpftem Applaus. Lloyd war ein guter, sachlicher Redner, aber ihm fehlte die Fähigkeit seiner Mutter, die Herzen zu berühren – zumindest jetzt noch.
    Robert von Ulrich trat ans Rednerpult. »Ich bin Österreicher«, begann er. »Ich wurde im Krieg verwundet, geriet in russische Gefangenschaft und kam in ein Lager in Sibirien. Nachdem die Bolschewiken mit den Mittelmächten Frieden geschlossen hatten, öffneten die Wächter die Tore und sagten uns, wir könnten gehen. Wie wir nach Hause kamen, war allerdings unser Problem. Von Sibirien nach Österreich ist es ein weiter Weg – mehr als dreitausend Meilen. Da kein Bus fuhr, bin ich zu Fuß gegangen.«
    Gelächter perlte durch den Saal, und vereinzelt wurde anerkennend applaudiert. Robert hatte das Publikum bereits für sich eingenommen.
    Ruby kam herein. Sie sah verärgert aus. Sie ging zu Lloyd und flüsterte ihm ins Ohr: »Die Faschisten sind gerade hier vorübergezogen. Boy Fitzherbert hat Mosley zum Bahnhof gefahren, und ein Haufen Hitzköpfe in schwarzen Hemden rannte jubelnd hinter dem Wagen her.«
    Lloyd runzelte die Stirn. »Sie haben versprochen, nicht zu marschieren. Wahrscheinlich werden sie sagen, dass es nicht zählt, wenn sie hinter einem Auto herlaufen.«
    »Wo liegt der Unterschied? Das wüsste ich gern!«
    »Gibt es Gewalttätigkeiten?«
    »Nein.«
    »Halt weiter die Augen offen.«
    Ruby ging. Lloyd war empört. Die Faschisten hatten vielleicht nicht gegen den Buchstaben, aber gegen den Geist der Abmachungverstoßen. Sie waren uniformiert auf der Straße erschienen, und es hatte keine Gegendemonstration gegeben. Die Sozialisten waren hier, in der Kirche,

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