Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Hausmädchen auf Chimbleigh. Sie haben ihr Geld für den Zahnarzt gegeben.«
»Ja, ich erinnere mich. Also ist ihr Name in romantischer Hinsicht mit dem Ihren verknüpft.«
»Nur in der Fantasie meiner Mutter.«
Daisy lachte über sein Unbehagen. »Dann werden Sie kein Hausmädchen heiraten?«
»Ich werde Ruby nicht heiraten.«
»Sie passt vielleicht gut zu Ihnen.«
Lloyd blickte ihr in die Augen. »Wir verlieben uns nicht immer in die Passendsten, nicht wahr?«
Daisy schaute zur Bühne. Die Show ging zu Ende, und das gesamte Ensemble stimmte ein bekanntes Lied an. Das Publikum fiel begeistert ein. Die Besucher auf den Stehplätzen im hinteren Teil des Saales hakten die Arme ineinander und schunkelten. Boys Gruppe schloss sich an.
Als der Vorhang fiel, war Boy noch immer nicht zurück. »Ich sehe nach ihm«, sagte Lloyd. »Ich glaube, ich weiß, wo er ist.« Im Gaiety gab es eine Damentoilette; die Männer mussten in den Hinterhof, wo ein Plumpsklo und ein paar halbierte Ölfässer aufsie warteten. Lloyd traf Boy dabei an, wie er sich gerade in eines dieser Fässer erbrach.
Er reichte Boy ein Taschentuch, damit er sich den Mund abwischen konnte. Dann führte er ihn am Arm durch das sich leerende Theater nach draußen zur Daimler-Limousine. Die anderen warteten bereits. Sie stiegen in den Wagen, und Boy schlief augenblicklich ein.
Als sie wieder im Westend waren, befahl Andy Fitzherbert dem Chauffeur, zuerst zum Haus der Murrays zu fahren, das in einer bescheidenen Straße unweit des Trafalgar Square stand. Er stieg mit May aus dem Wagen und sagte: »Ihr fahrt weiter. Ich bringe May noch zur Tür, dann gehe ich zu Fuß.« Lloyd vermutete, dass Andy eine romantische Verabschiedung vor Mays Haustür plante.
Sie fuhren weiter nach Mayfair. Als der Wagen sich Grosvenor Square näherte, wo Daisy und Eva wohnten, forderte Jimmy den Chauffeur auf, an der Ecke zu halten. Dann fragte er Lloyd leise: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, Williams, Miss Peshkov zur Tür zu bringen, und ich komme in einer halben Minute mit Fräulein Rothmann nach?«
»Einverstanden.« Jimmy wollte Eva offensichtlich im Auto einen Gutenachtkuss geben. Boy würde davon nichts merken: Er schnarchte laut. Der Chauffeur würde in Erwartung eines Trinkgelds so tun, als bemerke er nichts.
Lloyd stieg aus dem Wagen und half Daisy heraus. Als sie seine Hand fasste, schien ihn ein elektrischer Schlag zu durchzucken. Er nahm sie beim Arm, und sie gingen langsam den Bürgersteig entlang. Mitten zwischen zwei Straßenlaternen, wo das Licht am schwächsten war, blieb Daisy stehen. »Geben wir ihnen Zeit«, sagte sie.
»Ich freue mich, dass Eva einen Verehrer hat«, sagte Lloyd.
»Ich auch.«
»Über dich und Boy Fitzherbert kann ich nicht das Gleiche sagen.«
»Er hat dafür gesorgt, dass ich bei Hofe vorgestellt wurde!«, erwiderte Daisy. »Und ich habe mit dem König in einem Nachtclub getanzt – es stand in allen amerikanischen Zeitungen.«
»Und deshalb gehst du mit ihm aus?«, fragte Lloyd fassungslos.
»Nicht nur deswegen. Er mag alles, was ich auch mag – Partysund Rennpferde und schöne Garderobe. Mit ihm macht es so viel Spaß! Er hat sogar ein eigenes Flugzeug.«
»Das ist alles bedeutungslos«, erwiderte Lloyd. »Gib ihn auf. Sei meine Freundin.«
Sie sah zufrieden aus, doch sie lachte. »Du bist verrückt, aber ich mag dich.«
»Es ist mir ernst«, sagte Lloyd verzweifelt. »Ich muss immerzu an dich denken, obwohl du die Letzte bist, die ich heiraten sollte.«
Wieder lachte sie. »Du sagst aber unfeine Dinge! Ich weiß gar nicht, weshalb ich mit dir rede. Vielleicht, weil sich hinter deinen unbeholfenen Manieren ein ganz netter Kerl versteckt.«
»Ich bin sonst gar nicht unbeholfen, nur in deiner Gegenwart.«
»Das glaube ich dir sogar. Trotzdem heirate ich keinen mittellosen Sozialisten.«
Lloyd hatte ihr sein Herz geöffnet, nur um charmant zurückgewiesen zu werden. Nun fühlte er sich erbärmlich. Er schaute zum Daimler. »Wie lange die wohl noch brauchen«, murmelte er niedergeschlagen.
»Aber vielleicht«, sagte Daisy, »würde ich einen Sozialisten küssen, nur um zu sehen, wie das ist.«
Im ersten Moment reagierte Lloyd nicht, da er glaubte, sie hätte es rein hypothetisch gemeint. Andererseits würde kein Mädchen so etwas rein hypothetisch sagen. Es war eine Einladung, die er in seiner Blindheit beinahe übersehen hätte.
Er bewegte sich näher an sie heran und legte ihr die Hände um die schmale Taille. Sie
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