Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Hause aufbrachen, und schloss vor der Matinee.
Lloyd ging an den geschlossenen Marktständen vorbei und blickte durch die Glastüren ins Opernhaus. Das hell erleuchtete Foyer war leer, und er hörte gedämpfte Mozartklänge. Er trat ein, gab sich als unbekümmertes Mitglied der Oberschicht und fragte einen Platzanweiser: »Wann fällt der Vorhang?«
Hätte er seinen Tweedanzug getragen, wäre ihm vermutlich entgegnet worden, dass es ihn nichts angehe, doch der Frack war die Uniform der Autorität. Der Platzanweiser antwortete: »In ungefähr fünf Minuten, Sir.«
Lloyd nickte knapp. Mit einem »Danke« hätte er sich verraten.
Er verließ das Opernhaus und ging um den Block. Er genoss den Augenblick der Stille. In den Restaurants bestellten die Leute sich Kaffee; in den Kinos näherte sich der Hauptfilm seinem melodramatischen Höhepunkt. Bald würde alles zum Leben erwachen. Die Straßen würden voller Menschen sein, die nach Taxis riefen, zu den Nachtclubs zogen, sich an Bushaltestellen einen Gutenachtkuss gaben und zum Bahnhof eilten, um noch den letzten Vorortzug zu erreichen.
Lloyd kehrte zum Opernhaus zurück und wartete vor den Türen. Das Orchester spielte nicht mehr, und soeben strömten die ersten Zuschauer aus dem Gebäude. Befreit nach langer Gefangenschaft auf den Sitzen unterhielten sie sich angeregt, lobten die Sänger, kritisierten die Kostüme und machten Pläne für ein spätes Abendessen.
Lloyd entdeckte Daisy beinahe sofort.
Sie trug ein lavendelfarbenes Kleid mit einem kurzen Cape aus champagnerfarbenem Nerz, das ihre bloßen Schultern bedeckte. Sie sah hinreißend aus, als sie an der Spitze einer kleinenTraube von Gleichaltrigen aus dem Saal kam. Zu seinem Verdruss entdeckte er Boy Fitzherbert an ihrer Seite; Daisy lachte fröhlich über irgendeine Bemerkung von ihm, während sie beide die mit rotem Teppich bedeckten Stufen hinunterstiegen. Ihnen folgte das interessante deutsche Mädchen, Eva Rothmann, begleitet von einem hochgewachsenen jungen Mann in Gesellschaftsuniform.
Eva erkannte Lloyd und lächelte ihm zu. »Guten Abend, Fräulein Rothmann«, sprach er sie auf Deutsch an. »Ich hoffe, die Oper hat Ihnen gefallen.«
»Sehr gut, vielen Dank«, antwortete sie, ebenfalls auf Deutsch. »Ich habe Sie gar nicht im Publikum bemerkt.«
Boy erwiderte freundlich: »Sprecht Englisch, Bande, sag ich!« Er klang ein wenig angetrunken. Auf leicht zügellose Art sah er gut aus, wie ein hübscher, schmollender Halbwüchsiger. Er hatte eine angenehme Art, und wenn er es darauf anlegte, konnte er bezwingend charmant sein.
Eva wandte sich auf Englisch an Boy Fitzherbert. »Viscount, das ist Mr. Williams.«
»Wir kennen uns«, entgegnete Boy. »Er ist auf dem Emma.«
»Hallo, Lloyd«, sagte Daisy. »Wir wollen slummen gehen.«
Lloyd hatte das Wort schon einmal gehört. Es bedeutete, ins Eastend zu ziehen, einfache Pubs zu besuchen und sich die typischen Vergnügungen von Arbeitern anzuschauen, zum Beispiel Hundekämpfe.
»Ich wette, Williams kennt da ein paar gute Sachen«, sagte Boy.
Lloyd zögerte nur eine Sekunde. War er bereit, Boy zu ertragen, wenn er dadurch in den Genuss von Daisys Gesellschaft kam? Keine Frage. »Ja, allerdings«, sagte er. »Soll ich sie Ihnen zeigen?«
»Prächtig!«
Eine ältere Frau kam herbei und drohte Boy mit dem Finger. »Ich möchte die Mädchen um Mitternacht wieder zu Hause haben.« Sie sprach mit amerikanischem Akzent. »Keine Sekunde später bitte.« Lloyd vermutete, dass sie Daisys Mutter war.
Der große junge Mann in Uniform erwiderte: »Überlassen Sie es der Army, Mrs. Peshkov. Wir sind pünktlich.«
Hinter Mrs. Peshkov kam Earl Fitzherbert mit einer dicken Frau, die seine Gemahlin sein musste. Zu gerne hätte Lloyd den Earl wegen der Spanienpolitik seiner Regierung zur Rede gestellt.
Zwei Automobile warteten draußen auf die Herrschaften. Der Earl, seine Frau und Daisys Mutter stiegen in einen schwarz und creme lackierten Rolls-Royce Phantom III , während Boy und seine Begleiter in einem dunkelblauen Daimler E20 Platz nahmen, dem Lieblingswagen der königlichen Familie. Lloyd mit eingerechnet, waren sie sieben junge Leute. Eva schien in Begleitung des jungen Soldaten zu sein, der sich Lloyd als Lieutenant Jimmy Murray vorstellte. Das dritte Mädchen war Jimmys Schwester May; der dritte junge Mann – eine schlankere, bedächtigere Version von Boy – erwies sich als Andy Fitzherbert.
Lloyd erklärte dem Chauffeur den Weg zum Gaiety.
Er
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