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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Halbjüdin heiraten wollte, die aus Deutschland geflohen war. Doch Eva hatte sie rasch in ihren Bann gezogen. Viele Freunde der Familie drückten allerdings verstohlen Zweifel aus. Bei der Hochzeit hatte Daisy sich sagen lassen müssen, Eva sei »exotisch«, Jimmy »mutig« und die Murrays »bemerkenswert weltoffen«, alles Formulierungen, mit denen man das Beste über ein Paar sagte, bei dem man fand, es passe nicht zusammen.
    Jimmy hatte formell an Dr. Rothmann in Berlin geschriebenund die Erlaubnis bekommen, um Evas Hand anzuhalten. Die deutschen Behörden hatten der Familie Rothmann allerdings die Ausreise verweigert, sodass Evas Eltern nicht zur Hochzeit kommen konnten. Unter Tränen hatte Eva dazu angemerkt: »Die Nazis hassen die Juden so sehr, man sollte doch meinen, dass sie froh wären, wenn sie das Land verlassen!«
    Boys Vater, Earl Fitzherbert, hatte die Bemerkung gehört und Daisy später darauf angesprochen. »Sagen Sie Ihrer Freundin, sie soll nicht über Juden reden, wenn sie es vermeiden kann«, riet er im Tonfall eines Mannes, der eine freundlich gemeinte Warnung erteilt. »Eine Halbjüdin zur Frau zu haben wird Jimmys Laufbahn in der Army nicht gerade fördern, wissen Sie.« Daisy hatte diesen unpassenden Hinweis nicht weitergegeben.
    Das glückliche Paar reiste für die Flitterwochen nach Nizza. Daisy bemerkte mit einem Stich von Schuldgefühlen, dass sie froh war, Eva nicht mehr am Hals zu haben. Boy und seine politischen Freunde verabscheuten Juden so sehr, dass Eva zu einem Problem wurde. Die Freundschaft zwischen Boy und Jimmy war bereits beendet – Boy hatte sich geweigert, Jimmys Trauzeuge zu sein.
    Nach der Hochzeit wurden Daisy und ihre Mutter von den Fitzherberts zu einer Jagdpartie auf dem Landsitz in Wales eingeladen. In Daisy stieg neue Hoffnung auf. Jetzt, da Eva aus dem Weg war, konnte Boy nichts mehr hindern, um ihre Hand anzuhalten. Der Earl und die Fürstin nahmen mit Sicherheit an, dass der Antrag kurz bevorstand. Vielleicht hatten sie geplant, dass Boy ihn an jenem Wochenende machte.
    Daisy und ihre Mutter gingen am Freitagmorgen zum Bahnhof Paddington und nahmen einen Zug nach Westen. Sie durchquerten das Herz von England, üppiges welliges Ackerland, gesprenkelt mit Dörfern und Weilern; jedes Örtchen hatte seinen eigenen steinernen Kirchturm, der inmitten alter Bäume aufragte. Sie hatten einen Erster-Klasse-Waggon für sich. Olga fragte Daisy, was Boy ihrer Ansicht nach vorhabe.
    »Er muss wissen, dass ich ihn mag«, sagte Daisy. »Ich habe mich oft genug von ihm küssen lassen.«
    »Hast du jemals Interesse an einem anderen gezeigt?«, fragte ihre Mutter scharfsinnig.
    Daisy unterdrückte die schuldbeladene Erinnerung an jenenkurzen Augenblick der Torheit mit Lloyd Williams. Boy konnte auf keinen Fall davon wissen, und sie hatte Lloyd seither weder gesehen noch seine drei Briefe beantwortet. »Nein«, sagte sie.
    »Dann lag es an Eva. Und die ist jetzt fort.«
    Der Zug durchfuhr einen langen Tunnel unter der Mündung des Severn. Als sie wieder ans Tageslicht kamen, waren sie in Wales. Zottige, ungepflegte Schafe grasten auf den Hügeln, und am Talgrund lag eine kleine Bergarbeiterstadt; ein trister Förderturm überragte eine Ansammlung hässlicher Industriegebäude.
    Am Bahnhof von Aberowen wurden sie von Earl Fitzherberts schwarz-cremefarbenem Rolls-Royce erwartet. Daisy fand die Ortschaft mit ihren kleinen Häuschen aus grauem Stein, die sich in langen Reihen die steilen Bergflanken hinaufzogen, trist und bedrückend. Sie ließen den Ort über eine Meile weit hinter sich und erreichten das Herrenhaus Tŷ Gwyn.
    Daisy schnappte nach Luft, als sie durchs Tor fuhren: Tŷ Gwyn war riesig und elegant; lange Reihen hoher Fenster durchzogen eine klassische Fassade. Das Gebäude war von schmucken Gärten voller Blumen, Sträucher und prächtiger Bäume umgeben, die offenbar des Earls ganzer Stolz waren. Was für eine Freude es wäre, Herrin dieses Hauses zu sein, überlegte Daisy. Der britische Adel mochte die Welt nicht mehr beherrschen, aber die Kunst des Lebens hatte er perfektioniert, und Daisy sehnte sich danach, Teil davon zu werden.
    Tŷ Gwyn bedeutete »Weißes Haus«; tatsächlich aber war das Gebäude grau. Daisy erkannte den Grund dafür, als sie das Mauerwerk mit der Hand berührte und ihre Finger voll Kohlenstaub waren.
    Ihr wurde eine Zimmerflucht zugewiesen, die »Gardeniensuite« genannt wurde.
    An diesem Abend saß sie vor dem Abendessen mit Boy auf der

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