Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Terrasse und beobachtete, wie die Sonne über dem glutroten Berggipfel unterging. Boy rauchte eine Zigarre, während Daisy an einem Glas Champagner nippte. Sie waren schon eine ganze Weile allein, doch Boy sagte kein Wort von Heirat.
Je weiter das Wochenende voranschritt, desto größer wurde Daisys Unruhe. Boy hatte noch zahlreiche weitere Gelegenheiten, unter vier Augen mit ihr zu reden – dafür sorgte sie schon. AmSamstag gingen die Männer auf die Jagd, doch Daisy folgte ihnen, traf sie am Nachmittag und kehrte gemeinsam mit Boy durch den Wald nach Tŷ Gwyn zurück. Am Sonntagmorgen besuchten die Fitzherberts und die meisten ihrer Gäste die anglikanische Kirche in der Stadt. Nach dem Gottesdienst kehrte Boy mit Daisy in einem Pub namens The Two Crowns ein, wo untersetzte, breitschultrige Bergleute mit flachen Arbeitermützen Daisy in ihrem lavendelfarbenen Kaschmirmantel anstarrten, als hätte Boy einen Leoparden an der Leine mitgebracht.
Daisy eröffnete ihm, sie und ihre Mutter müssten bald nach Buffalo zurückkehren, aber er sprang auf den Hinweis nicht an.
Konnte es sein, dass er sie mochte – nur leider nicht genug, um sie heiraten zu wollen?
Beim sonntäglichen Mittagessen war Daisy verzweifelt. Morgen würden ihre Mutter und sie nach London zurückkehren. Wenn Boy ihr bis dahin keinen Antrag gemacht hatte, würden seine Eltern davon ausgehen, dass es ihm nicht ernst war mit ihr, und sie nie wieder nach Tŷ Gwyn einladen.
Diese Aussicht verängstigte Daisy. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, Boy zu heiraten. Sie wollte die Viscountess Aberowen werden und eines Tages Countess Fitzherbert. Reich war sie immer schon gewesen; nun war sie versessen auf den Status, der mit der gehobenen gesellschaftlichen Stellung einherging. Sie wünschte sich sehnlichst, als »Eure Ladyschaft« angeredet zu werden. Sie neidete Fürstin Bea ihr Brillantdiadem. Sie wollte Mitglieder des Königshauses zu ihrem Freundeskreis zählen dürfen.
Daisy wusste, dass Boy sie mochte, und an seinem Verlangen nach ihr bestand kein Zweifel, wenn er sie küsste. »Du musst sehen, dass du ihn anspornst«, murmelte Olga Daisy zu, als sie mit den anderen Damen nach dem Mittagessen im Morgenzimmer den Kaffee nahmen.
»Und wie?«
»Ein Mittel versagt bei Männern niemals.«
Daisy zog die Brauen hoch. »Sex?« Sie sprach mit ihrer Mutter über fast alles, aber dieses Thema mied sie für gewöhnlich.
»Eine Schwangerschaft wäre sehr nützlich«, sagte Olga. »Nur wird man leider nur dann mit Sicherheit schwanger, wenn man nicht schwanger werden möchte.«
»Was bleibt mir dann?«
»Du musst ihm einen Blick auf das Gelobte Land erlauben, ihn aber nicht hereinlassen.«
Daisy schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er ist schon bei einer anderen im Gelobten Land gewesen.«
»Mit wem?«
»Das weiß ich nicht … mit einem Dienstmädchen, einer Schauspielerin, einer Witwe. Ich vermute es nur, aber er macht nicht mehr diesen unschuldigen Eindruck.«
»Dann musst du ihm etwas bieten, was er von den anderen nicht bekommt. Etwas, wofür er alles tun würde.«
Daisy fragte sich, wie ihre Mutter zu ihrer Weisheit kam, nachdem sie ihr Leben in einer erkalteten Ehe verbracht hatte. Vielleicht hatte sie eingehend darüber nachgedacht, wie ihr der Ehemann abspenstig gemacht worden war. Dennoch, was konnte Daisy anbieten, das Boy nicht auch von einer anderen bekommen konnte?
Die Damen tranken den Kaffee aus und zogen sich zum Mittagsschläfchen in ihre Gemächer zurück. Die Männer saßen noch im Esszimmer und rauchten Zigarren, wollten aber in einer Viertelstunde nachkommen. Daisy erhob sich.
»Was hast du vor?«, fragte Olga.
»Ich weiß noch nicht genau«, sagte sie. »Ich lasse mir etwas einfallen.«
Daisy hatte beschlossen, in Boys Zimmer zu gehen, wollte ihrer Mutter aber nichts davon sagen, damit sie keine Einwände erhob. Sie würde auf Boy warten, wenn er zu seinem Schläfchen heraufkam. Auch die Dienstboten machten um diese Tageszeit eine Pause; deshalb war es unwahrscheinlich, dass jemand ins Zimmer kam.
Sie würde Boy für sich haben. Aber was sollte sie sagen oder tun? Daisy wusste es nicht. Sie würde improvisieren müssen.
Sie ging in die Gardeniensuite, putzte sich die Zähne, betupfte sich den Hals mit Eau de Cologne von Jean Naté und ging mit leisen Schritten über den Flur zu Boys Zimmer.
Niemand sah, wie sie hineinging.
Boy hatte ein geräumiges Schlafzimmer mit Blick auf neblige
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