Winter - Erbe der Finsternis (German Edition)
Vampire sind ein starkes und langlebiges Geschlecht, doch nur du kannst sie wirklich unsterblich machen. Nur ganz wenige kennen das Geheimnis, und das soll auch so bleiben.«
Zum ersten Mal wünschte Winter sich, vor fünfzehn Jahren gestorben zu sein. Sie hätte nicht auf die Welt kommen sollen.
Sie fühlte, wie ein warmer Schwall Tränen über ihr Gesicht floss, und Darran Vaughan drückte sie an sich.
Sie war ein Vampir. Wie ihr Vater.
I n der Chiplin’schen Mansarde dämmerte Winter zwischen Schlaf- und Wachzustand vor sich hin. Trotz der Schutzwirkung ihres Anhängers war es den Albträumen gelungen, sie innerlich aufzuzehren. Sie wusste kaum, wo sie sich befand, die Zeit hatte jede Bedeutung verloren.
Sie saß auf ihrem Bett, die Beine ganz fest an den Körper gezogen, und weinte. Als keine Tränen mehr flossen, stieß sie nur noch trockene Schluchzer aus. Draußen vor den Fenstern wachte ein bleierner Himmel über sie.
Die Gesichter ihrer Eltern waren gespenstische Erscheinungen, die sie quälten.
Ihr schien, als wären sie zum zweiten Mal gestorben, und der Schmerz, den sie ein Leben lang in sich begraben hatte, brach endlich auf und raubte ihr den Atem.
Sie haben mein Leben mit ihrem bezahlt
…
Winter war völlig von diesem Gedanken besessen. Stundenlang fürchtete sie, verrückt zu werden.
Ihre Eltern waren bestraft worden, weil sie sich liebten, weil sie – ein Vampir und eine Tochter der Familien – gegen die Regeln verstoßen hatten. Winter fühlte jedoch keinerlei Wut auf ihre Eltern, nur eine immense, unerträgliche Traurigkeit.
Rhys …
Die Gedanken überstürzten sich, wirr und gedrängt.
Es kam ihr vor, als hätte sie selbst ihre Eltern getötet. Und es war ihre Schuld, dass ihre Großmutter im Krankenhaus lag.
Neue Tränen flossen aus ihren Augen. Sie war verdammt. Ihr einzigartiges und kostbares Blut vergiftete alles, was sie liebte. Zerstörte es für immer.
Irgendwann schlief sie wieder ein. Finstere Bilder ließen sie im Traum aufschreien. In London hatte sie die MACHT gespürt und zum ersten Mal verstanden, dass sie ein Teil von ihr war, ein Teil des Blutes, das ihr Vater ihr vererbt hatte.
Sie war nicht menschlich. Zumindest nicht ganz.
Der Tag ging in die Nacht über, und es wurde wieder Morgen. Winter wagte ein paar erste Schritte.
In tiefer Verzweiflung näherte sie sich dem Schreibtisch. Ihr Blick fiel auf ihr eigenes Bild im Spiegel, der auf der Tischfläche lag.
Ihr Herz schlug stärker.
Verdammt
, wiederholte sie innerlich,
das bin ich. Ein verdammtes Geschöpf, weder Vampir noch Mensch. Ein Scheusal
.
Die Momente des Glücks waren eine Täuschung gewesen. Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Augen blieben unendlich traurig.
Doch dann entzündete sich ein Funken Wut in ihr. Es war nicht gerecht. Es war nicht gerecht, dass sie zu dieser Pein verdammt war.
Sie musterte ihr Gesicht. Sie hatte es immer für kindlich gehalten. Und plötzlich fühlte sie sich wirklich wie ein Kind, zu jung und wehrlos für all diesen Schmerz.
Gab es eine Möglichkeit, sich zu wehren? Und wogegen eigentlich? Aus welchem Grund?
Sie fühlte sich schwach, verängstigt. Und schrecklich allein.
Sie hätte nie geboren werden dürfen.
Der Schmerz drückte ihr die Kehle zu, nahm ihr den Atem.
Ihr Blut schenkte den Vampiren Unsterblichkeit. Deshalb würde sie nie frei sein, deshalb hatten die Familien und der Orden jede ihrer Bewegungen überwacht. Und sie würden sie weiter manipulieren, denn sie gehörte weder zu der einen noch zu der anderen Welt.
Winter fühlte sich gefangen, in der Schwebe. Ihr Leben war immer eine Farce gewesen, eine Bühne, auf der Machtspiele aufgeführt wurden, die sie nicht verstehen konnte. In ihrem Leben hatte es nie etwas anderes als Lügen gegeben.
Sie hatte nichts mehr. Es gab keinen einzigen Ort für sie auf der Welt. Was für einen Sinn hatte es noch zu kämpfen?
Winter dachte wieder an Elaine und Morgan. Für ihre Eltern musste sie kämpfen. Sie versuchte, sich davon zu überzeugen, doch sie empfand nichts außer Schmerz und Angst.
Gareth fixierte die Treppe, die in die Mansarde hinaufführte.
Seit sie nach Cae Mefus zurückgekehrt war, hatte Winter ihr Zimmer nicht einmal zum Essen verlassen.
In der Nacht zuvor hatte er sie im Schlaf schreien gehört.
Gareth hasste die Situation. Er hasste es, ihre Verzweiflung mit ansehen zu müssen, ohne etwas dagegen tun zu können, ohne überhaupt zu wissen, welche Dämonen sie bekämpfte.
Langsam
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