Winter - Erbe der Finsternis (German Edition)
Dunkelheit verschluckte alles und sie konnte sich vorstellen, die Welt sei heiter und frei von Angst und Gefahr.
Nachts herrschte zudem eine ganz eigene Stille aus verhaltenen Geräuschen, Rascheln, Flüstern …
Die Nacht war auf ihre Art behaglich, beruhigend, denn unter ihrem Mantel konnte man leichtfüßig und ganz leise herumstreunen.
In Susan Brays Auto auf dem Rückweg nach Wales hatte sie beschlossen, nicht mehr zu weinen, sie würde trotz Angst und Verwirrung keine Tränen mehr vergießen.
Ihr Leben hatte sich innerhalb kürzester Zeit in ein Inferno verwandelt. Ihre Großmutter würde vielleicht nie mehr gesund werden, und sie würde ihr nie mehr von der Schule, ihren Schwierigkeiten und ihren Erfolgen erzählen können. Davon, dass sie ihr schrecklich fehlte. Und dass sie auch Madison und die Sin-derella vermisste.
Eines Tages würde sie sich verlieben, doch selbst wenn sie es ihrer Großmutter erzählen würde, wäre sie wahrscheinlich nicht in der Lage, es zu verstehen.
Winter konnte sich nicht vorstellen, jemals noch trauriger oder einsamer sein zu können, doch sie musste die Bruchstücke, die ihr geblieben waren, in die Hand nehmen und wieder zusammensetzen.
Ich darf nicht mehr weinen!,
wiederholte sie mit Nachdruck.
Eine unnatürliche Ruhe stieg in ihr hoch. Es war bloß ein winzig kleiner Funke, aber für den Anfang konnte er genügen.
Winter drückte ihren Anhänger fest zwischen den Fingern und beschloss, dass sie es schaffen würde.
Gareth beobachtete sie von der dunklen Küche aus. Er konnte nicht anders, es war stärker als er, so etwas passierte ihm zum ersten Mal.
In nur wenigen Wochen war Winter Starr Teil seines Lebens geworden. Mit ihren silbernen Augen, den schwarzen Haaren und all ihren Problemen …
Ihr ein Freund zu sein, würde nicht einfach werden, das war ihm klar. Aber,
cer’yr Diawl
, es gab ohnehin kein Zurück mehr!
Ein merkwürdiges Lächeln trat auf seine Lippen, während er durch den Flur ging.
Dai betrachtete ihn und schüttelte den Kopf. Er verstand die Großen manchmal wirklich nicht.
N ach einem langen, einsamen Lauf ging Winter zufrieden duschen. Die körperliche Anstrengung und das minutenlange geistige Abschalten hatten sie beruhigt und ihr gutgetan.
Sie war so schnell gelaufen, wie sie konnte, hatte sich ausschließlich auf ihren Herzschlag und die immer tiefere Atmung konzentriert und dabei alle Probleme hinter sich gelassen. Und sie hatte sich lebendig gefühlt.
Doch das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, ließ sie nicht los, das warme Wasser auf ihrer Haut konnte es nicht wegwaschen.
Himmel noch mal!
Bis vor wenigen Augenblicken hatte die unbestimmte Beklemmung nachgelassen, und jetzt?
Was war das bloß?
Sie drückte etwas Duschgel in die Hand. Der Seifenschaum war unter dem Wasserstrahl lauwarm geworden, lauwarm und klebrig, und als sie ihn auf ihrem Körper fühlte, erhöhte sich plötzlich ihr Pulsschlag.
Sie musste ihn abwaschen.
Das Shampoo lief ihr übers Gesicht, doch sie merkte es nicht. Sie riss die Augen auf und starrte auf ihre Handflächen.
Irgendetwas stimmte nicht: ein Gedanke, nein, die Erinnerung an einen Albtraum, voller Blut und Adrenalinstöße.
Ich bin einfach nur gestresst,
sagte sie sich.
Beruhige dich! Beruhige dich!
Sie duschte sich rasch ab und wickelte sich in das Badetuch.
Während sie fröstelnd zum Spind ging, hinterließen ihre Füße bei jedem Schritt einen feuchten Abdruck auf den Fliesen.
Hastig kleidete sie sich an, sammelte ihre Sachen zusammen und verließ den Umkleideraum.
Ein Junge mit jaspisfarbenen Augen ging allein durch die Schulkorridore. Er hatte eine Freistunde und eigentlich keinen Grund, in diesem Flügel der St Dewi’s herumzustreunen.
Aber letztlich war ein Ort so gut wie der andere, und er hatte keine Lust, zu früh im Nox-Klub aufzutauchen. Er hasste die versnobte und überhebliche Atmosphäre, die dort herrschte.
Vielleicht würde er in die Bibliothek gehen und ein Buch lesen.
Ja, das war keine schlechte Idee …
Er ging rasch und entschied, die Gänge zu meiden, wo sich zu viele Schüler drängten. Dann stieg er die Treppen hinunter, die zum Untergeschoss führten.
Das war nicht der kürzeste Weg, er hätte das Gebäude ganz einfach durch den Haupteingang verlassen und den Park durchqueren können, aber er wollte allein sein.
Die einzelnen Gebäude der St Dewi’s waren fast alle miteinander verbunden, aber die wenigsten Schüler benutzten die unterirdischen
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