Winter - Erbe der Finsternis (German Edition)
kurz das Gesicht in ihre Richtung.
»Mädchen finden harte Sportskerle fast ebenso toll wie die Nox, weißt du?«, fügte Eleri sarkastisch hinzu. »Außerdem – wenn du in die Mannschaft aufgenommen würdest, könntest du mir deine Mitspieler vorstellen!«
Gareth zog die Augenbrauen hoch.
»Ich renne hinter keinem Ball her. Das ist etwas für Idioten«, antwortete er.
Das war zu viel für seine Schwester. Mit zwei Schritten war sie bei ihm und bohrte ihm den Zeigefinger in die Schulter.
»Darf man wissen, was heute mit dir los ist?«, fragte sie. »Schon seit dem Mittagessen ist mit dir nicht zu reden.«
»Lass mich in Ruhe … Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«
Einen Moment lang fragte sich Eleri, ob ihr Bruder sie auf den Arm nehmen wollte. Doch als sie seinen Gesichtsausdruck sah, kam ihr ein anderer Verdacht.
»Gareth, was passiert ist, war nicht deine Schuld«, versuchte sie ihn zu trösten.
Gareth antwortete ihr mit einem zornigen Blick.
»Oh, fantastisch! Du weißt es also auch … Zufällig hat Winter mich gebeten, es niemandem zu sagen. Sie wird überglücklich sein, wenn sie es erfährt!«
Eleri schüttelte energisch den Kopf.
»Ich werde es ihr bestimmt nicht sagen, und das weißt du. Also reg dich nicht auf.«
Sie musterten sich noch ein paar Augenblicke, dann warf Gareth ihr sein übliches schiefes Lächeln zu.
»Okay. Übrigens, hattest du schon das Vergnügen, den neuen Lehrer kennenzulernen?«
I m St-Charles-Krankenhaus spähte Susan Bray auf der Abteilung für Langzeitpflege durch die halb geöffnete Zimmertür. Sie hatte Glück: Marion Starr war noch immer ohne Bewusstsein. Sie hätte es nicht ertragen, in ihre durch die Medikamente und das Delirium getrübten grünen Augen zu sehen.
Sie hätte sich mit den Rapporten der Sozialarbeiterinnen zufriedengeben oder sich auf einen Anruf beschränken können, doch eine seltsam nostalgische Form der Zuneigung brachte sie immer wieder dazu, persönlich in dem sauberen und nüchternen Krankenzimmer vorbeizuschauen.
Susan zwang sich zu einer herzlichen Begrüßung und registrierte beschämt, dass sie erleichtert war, als ihr nur Stille antwortete.
Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Nachttischchen, setzte ihre Brille auf und legte sich die Brillenkette um den Hals.
Dann widmete sie sich dem Studium von Verhandlungsunterlagen, für die sie im Büro keine Zeit mehr gehabt hatte, und dachte darüber nach, dass ihre Krankenhausbesuche immer mehr zu einer Gelegenheit wurden, Arbeiten zu erledigen, mit denen sie im Verzug war.
»Hallo, Mrs Starr«, sagte eine junge indische Krankenschwester an der Zimmertür.
Es war eine freundliche, aber floskelhafte Begrüßung, sie erwartete keinerlei Reaktion von der Patientin.
Dann bemerkte sie Susan und lächelte etwas verlegen.
»Guten Tag, Ms Bray«, sagte sie mit einem ganz leichten Akzent. »Ich habe Sie gar nicht gesehen …«
»Hallo«, erwiderte Susan Bray und schaute von den Akten auf. »Neuigkeiten?«
»Nein, Madam. Ab und zu öffnet sie die Augen und macht eine Bewegung … Die Untersuchungsergebnisse haben sich verbessert, und seit ein paar Tagen sprechen die Ärzte nicht mehr von Koma, aber wir können es noch keinen Wachzustand nennen.«
Susan nickte, denn sie wusste nicht recht, was für einen Gesichtsausdruck sie annehmen sollte.
»Ist es den Ärzten immer noch nicht gelungen, den Grund für die Anomalie zu ermitteln?«
»Nicht mit Sicherheit, Madam … Aber jetzt wird sich alles wieder normalisieren. Es war so eine Art Vergiftung, vielleicht auch eine Unverträglichkeit, eine Überreaktion auf eine gewöhnliche Substanz oder auf ein Medikament. Das kommt häufiger vor, als man denkt.«
Susan dachte nach und massierte sich die Stirn.
»Ach, eine Vergiftung, ich verstehe …«, sagte sie tonlos.
Marion bot ein ziemlich trostloses Bild für jemanden, der sie vor der Erkrankung gekannt hatte, stark und voller Energie, und Susan Bray konnte Richard und der Norton ihre Entscheidung nicht ganz verübeln: Ihre Großmutter in diesem Zustand zu sehen, wäre für Winter ein harter Schlag gewesen.
Nur konnte man ihrer Ansicht nach diesen Moment nicht mehr lange hinausschieben.
»Fragt sie nie nach ihrer Enkelin?«, wollte sie wissen.
Die Krankenschwester lächelte verständnisvoll.
»Ihr Name ist das Einzige, was ich verstehe, wenn sie wach ist. Als wir sie hierherverlegt haben, habe ich auch die Blumen mitgenommen, weil ich dachte, sie würde sich dadurch ihrer Enkelin
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