Winter - Erbe der Finsternis (German Edition)
aufgehört, an das zu denken, was am Vorabend passiert war, aber es machte einfach keinen Sinn.
Sie gab keine Antwort.
»Ich glaube nicht, dass es dir hilft, wenn du dir eine Erkältung holst …«
Der Junge setzte sich und hielt den Regenschirm schützend über sie.
»Du bist klitschnass«, flüsterte er, kauerte sich vor sie und sah ihr mit einem leisen Lächeln ins Gesicht. »Und aufgewühlt.«
Winter wich seinem Blick aus, die Lippen zusammengepresst. Rhys Llewelyn war ein Vampir.
So verharrten sie eine Zeit lang reglos, während der Regen auf das schwarze Dach des Schirms prasselte. Sie biss sich unentwegt auf die Lippen.
»Ich habe erfahren, was gestern Abend passiert ist.«
Winter stieß ein Lachen voller Sarkasmus aus.
»Ach, tatsächlich? Das trifft sich gut, denn ich würde es auch gern erfahren … Alles, was ich bisher erlebt habe, waren Überfälle, die sich selbst die Familien nicht erklären können. Ich bin zweimal angegriffen worden, Lorna ist angegriffen worden, die Jones ist verschwunden und gestern Abend hat jemand versucht, bei den Chiplins einzudringen … Aber alle tun so, als sei alles unter Kontrolle.«
Die Schule war inzwischen menschenleer, und da sie allein waren, erübrigte sich die übliche Vorsicht.
Rhys setzte sich mit einem Seufzen neben sie.
»Es tut mir leid, ich weiß auch nicht, was hier los ist.«
Ihre Augen begegneten sich.
»Ich weiß nur eins: Ich würde dir nie etwas antun. Das wollte ich dir sagen.«
Winters Augen hatten dieselbe Farbe wie der Regen.
»Wie kann ich mir da sicher sein? Du bist …«
»Ein Vampir. Alles, was ich dir bieten kann, ist mein Ehrenwort. Ich will dich nicht überzeugen.«
Ein vages Lächeln lag auf dem Gesicht des Jungen. Winter spürte, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
»Ich möchte dir so gern glauben, Rhys …«
»Du musst nicht mir glauben, sondern dir selber. Du kannst nur dem vertrauen, was du fühlst.«
Winter senkte das Gesicht und bedeckte es mit den Händen.
Es herrschte eine solche Verwirrung in ihr … Sie war voller Angst, zornig und aufgewühlt.
Sie fühlte ihren Herzschlag, der im Rhythmus ihrer Emotionen schlug. Sie kannte die Antwort bereits.
»Ich vertraue dir«, murmelte sie ganz leise, »obwohl es mir Angst macht.«
Sie lächelte müde.
»Manchmal möchte ich einfach mein altes Leben zurückhaben. Aufstehen und meine Oma in der Küche beim Frühstück antreffen, mit meiner besten Freundin schwatzen, abends ausgehen und die abgefahrenen Sin-derella spielen hören … In gewissen Momenten möchte ich so gern das Rad der Zeit zurückdrehen, ich würde alles dafür geben, nie hierhergezogen zu sein und einfach so weiterleben zu können wie vorher, ohne Geheimnisse, ohne Gefahren. Es war alles so einfach …«
Sie wusste, dass ihre Stimme einen leicht jammernden Tonfall hatte, aber sie konnte nichts dagegen tun.
Und vielleicht war es ja auch genau das, was sie wollte: jammern. Sie brauchte jemanden, der sie tröstete, der ihr versicherte, dass alles gut werden würde.
Doch Rhys schwieg, den Blick starr auf den Nieselregen gerichtet.
»Und stattdessen musst du dich alldem stellen«, schloss er dann.
Sie nickte.
»Die Wahrheit war immer da«, murmelte sie mit Bitterkeit in der Stimme, »nur habe ich nichts davon gewusst. Und jetzt fehlt mir der Mut, mich ihr zu stellen.«
Der Junge drehte den Kopf und schaute sie an, der Regenschirm schwang hin und her.
»Das ist nicht wahr, Winter. Du bist das mutigste Mädchen, das ich kenne.«
Er hatte es ganz spontan gesagt, doch während er es aussprach, wurde er sich bewusst, dass er es tatsächlich dachte.
»Du bist stark, entschlossen. Du gibst nicht auf. Es ist normal, dass du verängstigt bist, nach all dem, was du entdeckt hast. Bei all dem, was hier passiert …«
Er war nervös.
So nah bei ihr zu sitzen war keineswegs einfach, und nicht nur wegen der dauernden, unterschwelligen Verlockung ihres Bluts. Er wollte sie beschützen, wünschte es sich auf eine nie gekannte Weise.
Winter senkte ihren Blick in seine Augen.
»Da ist noch mehr, Rhys«, sagte sie leise, jedes Wort abwägend. Aber sie war es müde, immer Vorsicht walten zu lassen, und es war verführerisch, sich ihm anzuvertrauen. Sie fühlte sich stärker dabei.
»Meine Oma hat offenbar mit dem Exekutor zu tun gehabt. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie bewusstlos zusammengebrochen war … Nun, ich glaube, das hat ihr das Leben gerettet«, offenbarte sie ihm
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