Winter in Maine
gleiten, stellte das Visier scharf und sah, wie es das vorhandene Licht zu sammeln und einen leuchtenden Ring um alles zu legen schien. Jetzt muss te ich eine Entfernungskarte erstellen, wie es mir mein Vater beigebracht hatte, damit ich vor einem Schuss die Entfernung richtig einschätzen und Richthöhe und Geschossfall berechnen konnte. Ich legte eine Karteikarte auf mein Knie und zeichnete ausgehend von meinem Standort immer größere Kreise, vier insgesamt, die jeweils einen Abstand von hundert Metern darstellten. Dann zeichnet e ich einen Baum ein, der ungefä hr in der Mitte zwischen dem ersten und zweiten Kreis stand, und fügte die Skizze eines Strommastes hinzu, der sich zwanzig Meter vor der dritten Kreislinie befand.
Als ich damit fertig war, riss ich ein Stück von der Karte ab, warf es in die Luft und beobachtete, wie es herabfiel, um ein Gefühl für die Windgeschwindigkeit und den Einfluss des Seitenwindes zu bekommen, obwohl es an diesem Tag plötz liche Böen gab, die sich nicht einschätzen ließen, aber wenigstens kamen sie alle von links.
Manche Leute wollen immer auf alles vorbereitet sein. Aber es kommt eine Zeit, wo man nur noch warten kann.
Ich saß reglos da und gönnte meinen Augen etwas Ruhe.
Wenn die Zeit kommt, wo man zielen muss, können die Augen schnell müde werden und müssen ausgeruht sein. Ungefähr eine Stunde später sah ich, wie in einer Entfernung von etwa vierhundertfünfzig Metern eine Gestalt mit geschultertem Ge wehr am Waldrand entlangging. Ich hob das Gewehr und nahm sie ins Visier.
1914 fanden die Deutschen heraus, dass man am besten auf die Zähne eines Menschen zielt, da der Schuss, wenn er zehn Zentimeter höher oder tiefer trifft, immer noch tödlich ist. Und wenn man auf den Bereich zwischen Kopf und Taille schießen will, hat man eine Trefffläche von sechzig mal dreißig Zentimetern und sollte auf die Mitte zielen.
Der Mann kam vom Waldrand aufs Feld. Ich zog die Hand schuhe aus, hüllte sie um den Schaft und legte die Wange daran, um das Gewehr fest an die Schulter zu drücken. Ich schloss das linke Auge, schaute mit dem rechten durchs Visier, fand den Mann, justierte es leicht und versuchte den Wind zu berücksichtigen, zielte ein bisschen nach links, holte tief Luft, stieß sie wieder aus, drückte ab, und der Mann im Zielfernrohr blieb stehen, drehte sich halb um und fiel auf den Rücken.
Ich behielt die Gestalt im Blick, die jetzt auf dem Feld lag. Der größte und gewöhnlich letzte Fehler, den ein Scharf schütze begehen kann, ist, nachzusehen, ob er getroffen hat, aufzustehen und hinzustarren, ans Fenster, aus der Deckung zu kommen. Ein Anfänger kann der Versuchung nicht widerstehen, aus dem Fenster zu schauen oder über die Mauer zu spähen, um sich zu vergewissern, ob das Opfer tot ist. Doch genau das wünscht sich die Gegenseite, denn sie hat mehrere Gewehre auf dieses Fenster oder diese Mauer gerichtet und wartet zwei, drei Stunden lang auf den Sekundenbruchteil, in dem das Gesicht auftaucht, und mehr Zeit braucht sie nicht, um darauf zu schießen. Als der Knall in der weißen Ödnis ver klungen war, blieb ich also mit angelegtem Gewehr volle fünf Minuten lang reglos sitzen, benutzte mein Knie als Stütze und öffnete ab und zu das rechte Auge, um die Gestalt im Schnee zu betrachten. Den größten Teil der Zeit kauerte ich jedoch mit geschlossenen Augen auf dem Hochsitz.
Die Gestalt stand nicht wieder auf, ringsum herrschte Stille, und der Wind streifte den Schnee von den Baumwipfeln. Ich konnte zumindest hingehen und nach Hobbes fragen, also packte ich alles zusammen und überquerte das Feld, kam an dem Baum und dem Strommast vorbei. Es war ein langer Weg zu dem im Schnee liegenden Mann. Nach hundert Metern sah ich, dass er in einer Pfütze lag, nach zweihundert Metern, dass sie rot war, und nach dreihundert Metern, dass sein Kopf darin schwamm. Vierhundert Meter von dem Baum entfernt, auf dem ich gesessen und den Schuss abgegeben hatte, stellte ich mich neben ihn, die Zeichnung von Hobbes in der Hand, doch diesmal würde ich keine Fragen stellen. Wenn der Mann einen Hund erschossen hatte, hatte er dieses Wissen ins Grab mitgenommen. Beim Sturz hatte er seinen linken Stiefel ver loren, die einzige Erklärung schien mir zu sein, dass er ihn nicht richtig zugeschnürt hatte.
Ich zog den Führerschein aus seiner Brieftasche: Es war ein Einheimischer, einer von den Leuten aus Fort Kent, die hinter mir her waren. Es war gut, sie weiter in diese
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