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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard Donovan
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Gegend, in die falsche Richtung zu locken. Inzwischen hatte ich überall das Gefühl, dass sie mir auf den Leib rückten. Ich schleppte den Mann unter die Bäume, ließ ihn dort fallen und bedeckte ihn mit trockenem Laub und Zweigen. Am Waldrand war es am besten, im dichten Unterholz. Hier lag er gut. Ich sah ein Auto vorbeifahren, dann noch eins, und hielt es für sicherer, von hier zu verschwinden. Normalerweise merken die meisten Leute nicht, was sich direkt vor ihren Augen abspielt, aber man kann nie wissen. Einer genügt schon.
    Im letzten Moment fragte ich doch noch: Hast du meinen Hund erschossen? Weißt du, dass ich dich erschossen habe? Der Schuss kam unerwartet, du bist geplattert wie die anderen, und dein Blut wird entschwemmt.
    Dann fragte ich: Hast du was auf das Plakat geschrieben?
    War das deine Handschrift?
    Er sagte kein Wort, zumindest die Teile seines mit Zweigen und Laub bedeckten Körpers, die ich sehen konnte, also hatte ich ihn gar nicht als Ganzes angesprochen. Er würde jedenfalls nichts mehr schreiben: Wenn ich ein neues Plakat aufhäng te und niemand etwas draufschrieb, hatte ich vielleicht den Richtigen erwischt. Wenn er in Fort Kent etwas auf ein Plakat schrieb, dann konnte er auch überall gejagt haben, zum Beispiel in der Nähe der Hütte. Aus diesem Grund war es ratsam gewesen, das Netz so weit zu spannen, um ihn zu erwischen. Und er war mit einem schicken Gewehr gekommen, einer Browning-Gold-Flinte, sehr teuer, sehr sauber, poliert wie ein Boudoirspiegel, eins dieser Gewehre aus der Zeitschrift. Wahrscheinlich hatte auch er die Werbeanzeigen gelesen.
    Vielleicht hatte ihm das Kaliber den Stiefel weg- oder ihn daraus herausgerissen.
    Mein Vater hat mich mal auf den Schoß genommen und eine 303er Patrone ins Licht gehalten, die war so lang wie ein Finger, und ich habe gesagt, es sähe aus, als hätte er sechs Fin ger an der Hand.
    Das ist kein Finger, Julius, sagte er. Die Patrone dreht sich durch den Lauf und fliegt mehr als achthundert Meter in der Sekunde. Sie durchschlägt Knochen, Adern und Muskeln, als handelte es sich um eine weiche Gurke. Manche Deutsche, die wir in Holland aus hundert Metern Entfernung erschos sen haben, fanden wir später zerfetzt, weil bei diesen Patronen manchmal ein Großteil des Körpers auseinandergerissen wird.
    Du meinst, diese Kugel jagt die Leute in die Luft, sagte ich. Im Grunde genommen tut sie genau das, erwiderte er.
    Auf der Rückfahrt von St. Agatha sah ich, dass die Polizei an der Hauptstraße von Fort Kent wieder Autos anhielt, Fragen stell te und Kofferräume durchsuchte, aber nur stadtauswärts. Ich parkte um kurz vor drei hinter dem Supermarkt, legte die Waffe und alles andere hinter den Sitz und heftete das neue Plakat mit einer blauen Reißzwecke, die jemand an der Anschlagtafel zurückgelassen hatte, an die gewohnte Stelle, diesmal eine zehn mal fünfzehn Zentimeter große Karteikarte, genauso groß wie meine Entfernungskarte: »HUND ERSCHOSSEN, Hinweise an J. Winsome, Postfach 271, Fort Kent.«
    Ich betrat das Cafe, wo die Kellnerin mich mit ihrer Stimme und dann mit ihrem Lächeln begrüßte: Und was kann ich Ih nen heute bringen?
    Kaffee, sagte ich und setzte mich an den kleinen Fenster tisch hinter der großen Topfpalme, die meiner eigenen neben den Bücherregalen in der Hütte glich, den warmen Büchern im zum Fenster hereinfallenden Sonnenlicht.
    Ich muss mich enthüllen, sagte ich, während ich den Mantel auszog.
    Sie nickte und erwiderte: Ja, hier ist Ihr Kaffee.
    Als sie gegangen war und ich mich vergewissert hatte, dass mich niemand beobachtete, nahm ich den Fernrohraufsatz aus der Lederhülle, richtete ihn auf die zwei Straßen entfernte Anschlagtafel, stellte das Visier scharf und legte es auf meinen Schoß. Alle paar Minuten blickte ich damit durchs Cafefenster, um eventuelle anonyme Schreiber zu ertappen. Die Kellnerin sah mich und kam mit der Kaffeekanne herüber, um mich zu fragen, wen ich beobachtete, und dann lachte sie.
    Ich nickte. Ich teste ein uraltes Visier. Die Optik.
    Na ja, solange es nicht auf einem Gewehr sitzt, hab ich hier nichts dagegen.
    Ich lächelte. Manche Leute müssen immer ihren Senf dazu geben, und ich lächelte weiter, bis sie gegangen war, und hielt das Visier dann wieder ans Auge.
    Da, ein Mann mit einem Schal um den Kopf stand mit einem Füller oder irgendwas an der Mauer. Ich versuchte, das Ganze schärfer zu stellen. Einige Leute hatten mit einer Enfield schon aus tausend Metern getroffen. Das

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