Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
unter das Deutsche Reich gewählt, obwohl viele Slowaken die deutsche Vorherrschaft hassten und darum kämpften, den Zugriff zu lockern, wie man gerechterweise sagen muss. Die Kommunisten des Landes bekämpften den Nationalsozialismus auf ideologischer Ebene; viele Protestanten fühlten sich noch zu den Tschechen hingezogen; und eine beachtliche Zahl Katholiken nahm Anstoß an Hitlers pervertierter Sichtweise der Heiligen Schrift. Ein US-Diplomat verglich die Beziehung zwischen Bratislava und Berlin mit der eines Hundes an der Leine seines Herrn, der ständig in die eine oder andere Richtung zieht, aber außerstande ist, sich zu befreien. Die slowakische Führung machte, unverzeihlicherweise, kaum Anstrengungen, frei zu kommen.
Pater Tiso, der Präsident mit den Hängebacken und dem Bürstenschnitt, war ein eifriger Kollaborateur. Er hatte die Söhne seines Landes in den Kampf an der Ostfront geschickt, damit sie an der Seite der deutschen Soldaten starben, und ließ dem NS-Kriegsapparat großzügig Lebensmittel und Bodenschätze zukommen. Noch schlimmer war jedoch: Seine Regierung hatte nicht gezögert, die Juden seines Landes preiszugeben. Das lag nicht etwa daran, dass Tiso und seine Berater die Rassentheorien der Nationalsozialisten
gebilligt hätten – als slawisches Volk hätten sie dafür ihr eigenes ethnisches Vermächtnis verraten müssen. Vielmehr war ihre Politik von einer Mischung aus Habgier, Rache und Bigotterie vergiftet: Habgier, weil jüdischer Besitz ein verführerisches Objekt für Räuber war; Rache, weil viele slowakische Juden ungarischer Abstammung waren; und Bigotterie wegen der traditionellen Feindschaft zwischen Christen und Juden, wie es in einer katholischen Zeitschrift hieß: »Der Ursprung der Tragödie des jüdischen Volkes ist der Umstand, dass sie den Messias nicht anerkennen und ihm einen schrecklichen und schändlichen Tod am Kreuz bereiteten.« 1
Das Parlament verabschiedete antisemitische Gesetze, die durchaus vergleichbar waren mit denen im Deutschen Reich, aber dem Präsidenten größere Befugnisse bei der Gewährung von Ausnahmeregelungen einräumte – von dieser Option machte Tiso routinemäßig bei christlichen Konvertiten und bei reichen Juden Gebrauch. Trotz dieser Begnadigungen wurden 60 000 Slowaken (etwa drei Viertel der jüdischen Bevölkerung) deportiert, vermutlich in Zwangsarbeitslager. Im Juli 1942 machte der Vatikan die Regierung darauf aufmerksam, dass die Deportierten in Wirklichkeit systematisch ermordet würden. Als die Slowaken das Deutsche Reich um die Erlaubnis baten, die Plätze zu besichtigen, wo die Deportierten angeblich arbeiteten, wurde das Gesuch abgelehnt. Das Kabinett und das Parlament setzten Tiso unter Druck, die Transporte auszusetzen; und Monsignor Angelo Roncalli, der päpstliche Gesandte in Konstantinopel, der spätere Papst Johannes XXIII., schaltete sich ebenfalls ein. Nach einiger Zeit gab der Präsident nach.
Die Partnerschaft der Slowakei mit NS-Deutschland war eine reine Vernunftehe. Die Deutschen beuteten die Slowaken aus; die Slowaken gewannen das Recht, mit gewissen Einschränkungen selbst zu regieren, und waren anfangs überzeugt, dass sie den späteren Sieger unterstützten. Es schien so gut wie sicher, dass Hitler, dieser Tyrann, die dominierende Macht in Europa bleiben würde. Nachdem sich das Kriegsglück der Deutschen gedreht hatte, änderten auch die Slowaken allmählich ihre Haltung, und jene, die sich noch nie mit den Nazis anfreunden konnten, meldeten sich lauter zu Wort.
Ende August 1944, vier Wochen nach dem Beginn des antifaschistischen Aufstands in Warschau, startete die slowakische Widerstandsbewegung ihren eigenen Angriff. Genau wie in Polen hofften die Organisatoren, dass das Vorrücken der Roten Armee, im Verein mit Rückschlägen an anderen Stellen, die Deutschen und ihre Kollaborateure veranlassen würden, das Handtuch zu werfen. Stattdessen strömten deutsche Truppen in die Slowakei und schlugen binnen zwei Monaten den Aufstand nieder. Ein Hauptgrund für den Zusammenbruch der Koalition war die fehlende Koordination unter den einzelnen Bestandteilen, zu denen Beneš unterstützende Demokraten, Nationalisten, befreite jüdische Gefangene, Kommunisten und fahnenflüchtige Einheiten des slowakischen Militärs zählte. Einmal mehr war die Rote Armee wie in Polen keine große Hilfe, entweder weil Stalin nicht wollte, dass der Aufstand Erfolg hatte (wie Antikommunisten später behaupteten) oder weil er legitime
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