Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
seine Identität verheimlicht, aber über den geheimen Sender, den der Widerstand genutzt hatte, hatte man ihn immer bei seinem Decknamen genannt: Mr. Comeback.
Beneš hatte London vier Wochen zuvor in der Gesellschaft Jan Masaryks und Vertretern der verschiedenen Gruppierungen der Exilregierung verlassen. Die Entourage, die immerhin so groß war, dass sie den Einsatz von drei Bombern der Royal Air Force erforderte, machte in Teheran zum Nachtanken Halt. Zur Begrüßung erwartete sie dort der Botschafter in Moskau Zdeněk Fierlinger, der ein doppeltes Spiel spielte. Er teilte Beneš mit, dass die Kommunisten beschlossen hätten, ihn zum Regierungschef der Nachkriegsregierung vorzuschlagen. Beneš war überrascht, weil Fierlinger keinerlei Erfahrung in der Innenpolitik hatte, aber zugleich erleichtert, dass die Kommunisten nicht einen eigenen Kandidaten ausgewählt hatten. So sehr der Botschafter auch mit Moskau sympathisierte, gehörte er immerhin der Sozialdemokratischen Partei an. Der Westen würde sich mit ihm eher anfreunden als mit dem Führer der Kommunisten Klement Gottwald. Außerdem glaubte Beneš, er werde Fierlinger relativ leicht kontrollieren können, weil dieser keinen starken Rückhalt in der Bevölkerung hatte.
Die Gruppe mit dem Präsidenten traf am 17. März in Moskau ein; fünf Tage später begannen die Treffen unter dem Vorsitz Gottwalds, um die Regierung zu organisieren. Beneš nahm nicht daran teil, mit der Begründung, dass er nach der Verfassung über den Parteien stehen und ihre Empfehlungen abwarten müsse. Das war eine Fehleinschätzung. Als bei weitem beliebteste Persönlichkeit der ganzen Tschechoslowakei – was selbst von den Sowjets anerkannt wurde – hätte er sein politisches Kapital nutzen können, um die staatlichen Institutionen zu gestalten, für die er letztlich die Verantwortung tragen sollte. Stattdessen überließ er es den demokratischen Parteiführern, sich selbst um ihre Interessen zu kümmern, Nur waren sie denkbar schlecht auf diese Rolle vorbereitet. Jahrelang hatten sie kaum etwas ohne seine Zustimmung unternommen; jetzt waren sie auf einmal auf sich gestellt. Sie sahen eine Restauration als ihre Aufgabe an, die Wiederherstellung eines pluralistischen Systems, in dem eine ernannte Regierung in Kürze durch eine gewählte ersetzt werden sollte. Die Parteiführer wollten, dass die künftige Richtung des Landes an der Wahlurne bestimmt werde, nicht durch vorübergehende Vereinbarungen, auf die die Politiker sich in Moskau einigten.
Die tschechischen und slowakischen Kommunisten hingegen wollten keine Restauration, sondern eine Revolution. Sie betrachteten den Krieg als eine Katastrophe, welche die Dekadenz des Kapitalismus herbeigeführt hatte, aber auch als seltene Gelegenheit, mit demokratischen Mitteln einen totalitären Staat zu schaffen. Sie konnten sich so weit gedulden, dass sie nicht sofort den Sieg anstrebten, aber sie waren entschlossen, das Land auf einen unumkehrbaren Kurs zu lenken. Stalin riet ihnen, Beneš als Präsident zu akzeptieren, aber ansonsten in jeder Beziehung ihren Einfluss zu vergrößern. Ihr 32-seitiger Verfassungsentwurf diente als Grundlage für die Diskussion, weil die Oppositionsparteien es versäumt hatten, eine Alternative auszuarbeiten. Hinzu kam eine inoffizielle Allianz zwischen den Kommunisten und den Sozialdemokraten, der Partei der gemäßigten Linken, angeführt von Fierlinger – einem Mann, dessen Herz und Seele den Kommunisten gehörte, wie sie genau wussten.
Gottwald wollte sich außerdem die ständigen Spannungen zwischen Slowaken und Tschechen zunutze machen. Er versprach den slowakischen Vertretern, dass ihre Region volle Autonomie genießen würde. Beneš und die tschechischen Demokraten sahen keine andere Möglichkeit, als dies zu akzeptieren, wenn auch zu ihrem großen Bedauern. Vor allem Beneš glaubte, dass der slowakische Nationalismus weder eine ethnische noch eine linguistische Basis hatte und dass das Land ohne eine starke Zentralregierung nicht aufblühen konnte. Er hatte versucht, Stalins Unterstützung für diese Argumente zu erhalten, aber der Diktator interessierte sich nicht dafür. Das hieß, dass die Slowaken weiter von einem eigenen Staat träumen konnten – nur wozu?
Die Erfahrung einer unabhängigen Slowakei während des Krieges hatte nicht den Vorstellungen ihrer Befürworter entsprochen. Anstelle der Juniorpartnerschaft mit Prag hatte die Nation eine schmähliche Unterwürfigkeit
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