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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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versucht, Beneš auf die künftigen Ereignisse vorzubereiten. »Unsere Soldaten werden in Ihr Land einmarschieren«, sagte er. »Gehen Sie mit ihnen nicht allzu streng ins Gericht; sie sind von einem langen Krieg müde und sind ein wenig außer Kontrolle geraten. Ohnehin sind die Männer der Roten Armee keine Engel.« 2
    Das konnte man wohl sagen: Wie ein Sturm aus den Karpaten marschierte die Armee durch die Slowakei und weiter nach Westen nach Mähren, begrüßten glückliche Scharen von Menschen mit einem deftigen »Hitler kaput!« und trieben die zurückweichenden Deutschen vor sich her. Die Sowjets, so willkommen sie auch waren, kannten häufig nicht den Unterschied zwischen Befreiung und Eroberung. Relativ wenige waren ausgebildete Soldaten; die meisten waren halb angelernte Bauernjungen, die, nachdem sie mit ihrer schlechten Ausrüstung und der noch schlechteren Verpflegung die Hölle durchgemacht hatten, jetzt darauf brannten, ihren Hunger zu stillen. Als Befreier wurde ihnen so viel zu essen und trinken gegeben, wie die Not leidende Bürgerschaft entbehren konnte. Die Russen fanden Gefallen an dieser Konstellation und drängten ihre Gastgeber, ein bisschen tiefer zu graben. Die Männer waren ganz verrückt
nach Armbanduhren, Stoffen, Teppichen und Kleidung – vor allem Schuhen. Sie tranken Wodka, versteht sich, aber auch Wein, Bier, medizinischen Alkohol und in einem berüchtigten Fall sogar denaturierten Spiritus, den man in einem Museum zum Konservieren von Tierkadavern verwendete.
    Ihre Offiziere waren kaum besser. Sie requirierten Häuser für sich und nahmen bei der Abreise so viele Wertsachen mit, wie sie tragen konnten. Sie schreckten auch vor Autodiebstahl nicht zurück und versuchten zwei Mal, den Wagen des britischen Botschafters zu stehlen. Einmal saß nur der Fahrer im Auto, ein andermal allerdings hatte der einigermaßen beunruhigte Gesandte auf der Rückbank bereits Platz genommen. Im September 1945 brachen russische Militärs in Zuckerraffinerien ein und fingen an, die Produktion zu stehlen. Das war zu viel für Beneš. Ohne Rücksprache mit dem Kabinett befahl er der eigenen Armee einzuschreiten und zwang die Sowjets, sich zurückzuziehen.
    Schlimmer noch: Wie in anderen Ländern Ost- und Mitteleuropas vergewaltigten die Männer der Roten Armee Tausende von Frauen und Mädchen, ohne dass ihre Vorgesetzten etwas dagegen unternahmen. Die Tschechen und Slowaken, die ein derartiges Verhalten beobachteten, waren empört, hatten aber auch Angst. Nicht alle reagierten wie mein Vater mit Sarkasmus: »Sie haben uns von Läusen befreit und uns Blutsauger auf den Hals gehetzt.« 3 Vielmehr suchten viele Schutz, indem sie sich an Mitglieder der lokalen Organisation der Kommunistischen Partei wandten oder indem sie selbst eintraten. So gesehen, entpuppte sich die Brutalität der Russen als ein wahrer Segen für die Parteiorganisatoren. Vor allem profitierten die Kommunisten von der Tatsache, dass die Rote Armee, nicht die US Army, Prag befreit hatte.
     
    S chon im Jahr 1943 auf der Konferenz von Teheran einigte sich die Führung der Alliierten darauf, dass die Sowjets für Mitteleuropa einschließlich der Tschechoslowakei zuständig sein würden. Die ganze militärische Planung basierte auf dieser Prämisse. Die Amerikaner hatten keine Einwände dagegen, ebenso wenig wie die Briten  – zumindest damals.
    Die Rahmenbedingungen änderten sich jedoch, und Churchill gelangte zu der Schlussfolgerung, dass es tatsächlich von Bedeutung sein könnte, welche Armee der Alliierten wohin marschierte. Sein Vertrauen in Stalins Absichten war nach dem kurzen Flirt der Großen Drei am Schwarzen Meer schlagartig verpufft. Mitte April 1945 drängten die Briten die Vereinigten Staaten, ihre Truppen nach Prag zu schicken. Nachdem zwei Wochen lang keine Antwort kam, schickte Eden eine zweite Note:
    In unseren Augen könnte die Befreiung Prags und eines möglichst großen Gebietes im Westen der Tschechoslowakei durch amerikanische Truppen die Nachkriegssituation grundlegend ändern … Andererseits könnte, wenn die westlichen Alliierten nicht nennenswert an der Befreiung der Tschechoslowakei beteiligt sind, das Land durchaus die gleiche Richtung wie Jugoslawien einschlagen. 4
    Dieses Argument überzeugte das amerikanische Außenministerium, und es empfahl den US-Truppen, ins Tal der Moldau vorzurücken. Truman, der sich in seinem Präsidentenamt noch zurechtfinden musste, wollte sich jedoch nur ungern in Vereinbarungen

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