Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Rückblick kann man durchaus sagen, dass sich das Schicksal des Landes auf den Dörfern entschied. Die Kommunisten waren überall aktiv, halfen einander, um Gegner einzuschüchtern und die öffentliche Meinung zu prägen. Unter den Figuren in dem unveröffentlichten Roman meines Vaters findet sich der Besitzer einer Buchhandlung in Kostelec, der erfreut die Exemplare von Mein Kampf aus dem Schaufenster entfernt, nur um sie wenig später auf massiven Druck hin durch Biographien von Lenin und Stalin zu ersetzen. Bei dem Gedanken an die goldene Zeit vor dem Krieg, als noch große literarische Werke diesen Ehrenplatz innehatten, sagte der Buchhändler voller Bedauern:
Dieses Fenster war früher meine größte Freude. Jeden Morgen um acht, wenn ich den Laden aufmachte, stand ich eine Minute lang davor, und das Herz wurde mir leicht. Mir gefiel der Gedanke, dass es eine Fotografie von mir selbst sei. Jetzt schäme ich mich. 27
Der Schlüssel zum Erfolg der Kommunisten bestand darin, dass sie, wenn sie eine lokale Wahl verloren, ihre Kräfte konzentrierten und es noch einmal versuchten. Und wenn sie gewannen, setzten sie
alle Mittel und Wege, ob legitim oder nicht, ein, um im Amt zu bleiben. Außerdem schikanierten sie mit Hilfe ihrer Agenten im Sicherheitsapparat ihre innenpolitischen Rivalen. Um nur ein Beispiel von vielen zu zitieren: Vladimír Krajina hatte im Krieg zu den beliebtesten Anführern des Widerstands gezählt. Die Kommunisten wollten ihn jedoch in Verruf bringen, um die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass sie allein gegen die Deutschen gekämpft hätten. Sie fälschten eine von Karl Hermann Frank, dem geschmähten Führer der Sudetendeutschen, unterschriebene Aussage, die angeblich bewies, dass Krajina ein Kollaborateur gewesen war. Während des Prozesses legte ein Ankläger Frank die Aussage vor, der zugab, sie unterschrieben zu haben, allerdings – da er kein Tschechisch lesen kann – ohne den Inhalt zu kennen. Sämtliche Anklagepunkte wurden fallen gelassen.
Der Fall Krajina veranschaulicht das fragile Gleichgewicht, das sich nunmehr einstellte. Die Kommunisten dominierten die Sicherheitskräfte und hatten folglich die Vollmacht, Ermittlungen zu führen und Verdächtige zu verhaften. Das Justizministerium hingegen wurde von Drtina geleitet, der sich nach Kräften bemühte, die Pläne der Kommunisten zu vereiteln. In manchen Fällen ordnete das Innenministerium Verhaftungen aufgrund der Aussagen von Zeugen an, die bestochen oder massiv unter Druck gesetzt worden waren. Drtina brachte die Fälle vor Gericht, leitete aber neue Ermittlungen zu den Aktionen der Sicherheitsbeamten ein, welche die Zeugen manipuliert hatten. So entstand eine Art Gleichgewicht, allerdings kein stabiles.
A m 28. September 1945 ging meine Familie an Bord einer alten Junker-Propellermaschine, die man von der deutschen Luftwaffe beschlagnahmt hatte. Der neue Titel meines Vaters lautete Tschechoslowakischer bevollmächtigter Gesandter in Jugoslawien. ai Nach einem gnädig kurzen Flug kamen wir in Belgrad an, einer Hauptstadt, die von den Bomben der Alliierten und der Achsenmächte in Schutt und Asche gelegt worden war. Über ein Zehntel der Bevölkerung
war beim Kampf gegeneinander und gegen die Deutschen gestorben. Überall schufteten schäbig gekleidete Menschen hart und räumten die Straßen oder sanierten zerstörte Gebäude.
Vor der Abreise aus Prag hatte mein Vater von Beneš Instruktionen erhalten, der ihn gebeten hatte, so oft wie möglich heimzukehren. »Schreiben Sie auf keinen Fall etwas Vertrauliches nieder«, mahnte der Präsident. »Die sowjetische Botschaft hätte es noch am selben Tag vorliegen, an dem Ihr Telegramm im Außenministerium ankommt. Sie müssen mir persönlich Bericht erstatten.« 28 Beneš hob seine Abneigung für Josip Broz Tito, den extravaganten Führer Jugoslawiens, hervor. Wie viele Diktatoren machte sich auch Tito die Insignien der Macht zunutze, um seine persönliche Legende zu stricken, die wiederum seine Herrschaft rechtfertigen half. Von den slowenischen Wäldern bis zur dalmatinischen Küste wurden Städte und Straßen nach ihm benannt und Geschichten über seine Heldentaten im Krieg verbreitet. Wie es im offiziell genehmigten Wahlspruch hieß: »Tito gehört zu uns und wir gehören zu Tito.« Kinder sangen sogar Lieder über ihn; ich weiß noch, dass ich selbst eines lernte: »Tito, Tito, kleines weißes Veilchen«.
Gemäß dem diplomatischen Usus war es die erste Aufgabe meines
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