Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
großzügigen Spenden den Weg frei gemacht für eine zweite Karriere als Diplomat, wo er den Ruf eines Unruhestifters hatte. Seine Haltung gegenüber den Tschechoslowaken war jedoch gönnerhaft; er bezeichnete sie als »kleines Volk, das zu falscher Rede neigt und in der Opposition tüchtiger ist als … in der Verantwortung«. 39 Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, er machte zwei nützliche Vorschläge: dass die Vereinigten Staaten (wie die UdSSR) in Bratislava ein Konsulat einrichteten und dass sie die Telegramme zwischen Eisenhower und dem sowjetischen Militär vor der Befreiung Prags veröffentlichten, um zu beweisen, dass die US-Truppen lediglich auf Drängen der Russen hin in Plzeň geblieben seien. Die Truman-Administration antwortete mit einer nicht zu entschuldigenden Trägheit auf diese Vorschläge. Das Konsulat in Bratislava nahm erst im März 1948, nach dem Putsch der Kommunisten, den Dienst auf. Die entlastenden militärischen Dokumente wurden im Mai 1949 veröffentlicht, viel zu spät, um noch etwas zu bewirken.
M ein Bruder John (offiziell Jan) kam am 15. Januar 1947 in Belgrad zur Welt. Er war ein hübsches Baby, hatte ein rundes, rotbackiges Gesicht und, solange er noch klein war, lange Haare. Der Wahrheit zuliebe kann ich heute gestehen, dass ich sein Babyfoto in meinem Jahrbuch für die Highschool verwendet habe, weil alle Bilder,
die von mir einmal existiert haben mochten, über die Jahre beim unzähligen Ein- und wieder Auspacken des Familienbesitzes verloren gegangen waren.
John Korbel
Im Frühjahr fuhr ich mit meinem Vater in die Tschechoslowakei, wo er an der Feier zum 20. Jahrestag seiner Abiturprüfung teilnahm. Wir fuhren mit dem Auto, nur wir zwei. Ich genoss es, wenn ich ihn ganz für mich hatte und mir Geschichten über seine Schulzeit anhörte und wie er meiner Mutter den Hof gemacht hatte. Es machte mir überhaupt nichts aus, dass die Fahrt ewig zu dauern schien. Damals sah ich zum ersten Mal Kyšperk und Kostelec nad Orlicí, die Orte, wo meine Eltern das Licht der Welt erblickt, ihre Kindheit verbracht und sich verliebt hatten. Erstaunt stellte ich fest, wie klein die Orte selbst im Vergleich zu Walton-on-Thames waren. Wir besuchten das Haus, in dem mein Vater aufgewachsen war, sein ehemaliges Gymnasium und den Schreibwarenladen, wo er vor langer Zeit Hefte und Stifte gekauft hatte. Es gab auch ein Bonbongeschäft mit der stolzen Aufschrift: »Belieferung von Kostelec und der ganzen Umgebung«, was tatsächlich kaum übertrieben war. In Kostelec quartierten wir uns im Haus eines Familienfreundes in derselben
Straße ein, in der meine Mutter gelebt hatte. Unser Gastgeber bot mir ein Glas Ziegenmilch an, das ich aus Höflichkeit nicht ablehnte – ein gutes Training für jenen Nachmittag im Jahr 1998, als mir in meiner Funktion als US-Außenministerin in der Mongolei eine Schale vergorener Stutenmilch angeboten wurde.
Meine Zeit in Belgrad kam mir wie ein Abenteuer vor, war aber hier und da recht einsam. Die Jankovics, die wir schon vor dem Krieg gekannt hatten, waren die einzige jugoslawische Familie, mit der wir uns regelmäßig trafen. Ihr kleiner Sohn Nidza war ein paar Monate älter als meine damals vierjährige Schwester. Herr Jankovic war Journalist und ein leutseliger Mensch, der meinem Vater half, sich über die Ereignisse in Belgrad auf dem Laufenden zu halten. Wir machten an Wochenenden mit ihnen Ausflüge nach Kalemegdan, der beeindruckenden Festung auf einer Felsklippe oberhalb der Stelle, wo die Save in die Donau mündet. Die Jankovics kamen am Nikolaustag und wenn wir Weihnachten feierten, zu uns, und wir gingen an den Serbisch-Orthodoxen Festtagen zu ihnen. Diese Feierlichkeiten fanden statt, obwohl es in Titos Jugoslawien keine Weihnachtsdekoration in den Straßen gab, keine Lieder im Radio ertönten, die Arbeiter nicht frei hatten, geschweige denn offiziell an die Jahreszeit erinnert wurde. In der Tschechoslowakei fühlten sich die Kommunisten nicht stark genug, um Weihnachten abzuschaffen; in Jugoslawien hatten sie es bereits versucht.
Was meine Spielkameraden in Belgrad anging, so kamen sie aus dem Kreis der Diplomaten. Ich ging im Pool des britischen Botschafters schwimmen und verknallte mich in den Sohn eines französischen Diplomaten. Er war viel größer als ich und sah sehr gut aus. Erst 50 Jahre später haben wir uns wiedergesehen, inzwischen war er auf meine Größe geschrumpft, und wir hatten beide Falten.
Im Sommer fuhr meine Familie im Juli in
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