Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
Vom Netzwerk:
Steuern zu erhöhen, wurde im Parlament abgelehnt. Bei landesweiten Wahlen zu Führungsposten der Studenten landeten die Kommunisten abgeschlagen auf Platz drei. Gottwalds eigene Erkundigungen ergaben, dass seine Partei an Boden verlor und dass die Demokraten auf der Ebene der Kultur, ohne einen Finger zu rühren, den Kampf für sich entschieden. Westliche Filme, Bücher, Zeitschriften und Tageszeitungen waren viel beliebter als ihre östlichen Widerparts. Mehr junge Menschen lernten Englisch statt Russisch. Die Reisenden nach Paris und London kehrten beladen mit Kleidung, Radios und Haushaltswaren zurück, die man in den einheimischen Geschäften nicht beschaffen konnte. Zu 80 Prozent wickelte das Land seinen Handel mit dem Westen ab. Die Ereignisse, die das Land zusammengeführt hatten, wurden von einheimischen Artisten und geachteten Veteranen gefeiert oder präsentierten die athletischen Leistungen der Jugend des Landes. Man hatte nicht den Eindruck, diese Gesellschaft sei reif für eine Arbeiterrevolution. Steinhardt kabelte nach Washington:
    Soweit sich das aufgrund von ständigen Beobachtungen der Reaktion der Bevölkerung seit Mai 1945 sagen lässt, haben sie keine sonderlich große Vorliebe für die Methoden der Sowjetunion.
Sie betrachten das Bündnis mit der Sowjetunion als eine unerfreuliche Notwendigkeit. Sie ziehen weiterhin westliche Geschäftsmethoden und … Standards vor. Ihre Skepsis gegenüber der Verstaatlichung der Industrie nach dem Krieg haben sie noch nicht abgelegt. Sie haben keine echte Vorliebe für marxistische Doktrinen, die ohnehin von den tschechoslowakischen Kommunisten nicht offen verfochten wurden. 42
    Zwei dramatische Vorfälle untergruben weiter die Stellung der Kommunisten. Am 10. September wurden Schachteln mit der Aufschrift »Parfüm« an die Büros von drei demokratischen Kabinettsmitgliedern geschickt, in denen Bomben versteckt waren: an Drtina, Masaryk und Peter Zenkl, den stellvertretenden Regierungschef und ehemaligen Bürgermeister von Prag. Kein einziger Sprengkörper detonierte, aber die anschließenden Ermittlungen arteten zu einem Medienspektakel aus, weil sich die Kommunisten verzweifelt bemühten (trotz zwingender Beweise), die Ermittlung von den eigenen stümperhaften Funktionären abzulenken, darunter Gottwalds Schwiegersohn.
    Die zweite Entwicklung war ein Aufstand unter den Sozialdemokraten. Zwei Jahre lang hatte Fierlinger dafür gesorgt, dass seine Partei Moskauhörig blieb. Manche hatten daran auch nichts auszusetzen, aber andere wünschten sich eine unabhängigere Stimme oder zumindest eine nicht ganz so feige. Fierlinger kroch bekanntlich oft vor den Mächtigen und war zu allen anderen grob. Im November 1947 kamen in Brno Parteiführer zu einem jährlichen Treffen zusammen. Sie ignorierten die kommunistischen Drohungen und stimmten dafür, den Amtsinhaber durch einen konventionelleren Karrierepolitiker zu ersetzen. Fierlingers Niederlage veränderte die Wahlarithmetik von Grund auf. Wenn sich die Kommunisten nicht auf die Sozialdemokraten verlassen konnten, war es fraglich, ob es ihnen gelingen würde, eine Mehrheit im Parlament zu erlangen.
    Diese Rückschläge kamen zu Gottwalds wachsender Enttäuschung noch hinzu. Wenn er in die Nachbarländer reiste, ermahnten ihn seine kommunistischen Kollegen, dass er im Gegensatz zu ihnen, die eine absolute Macht hatten, gezwungen war, die öffentliche Meinung
zu berücksichtigen und häufig Beneš nachzugeben, der immer noch die beliebtere und international angesehenere Persönlichkeit war. Anders als Tito war Gottwald kein Kriegsheld; es gab keine Kinderlieder, die seine Taten anpriesen. Seine Stellung wurde durch sein Amt zusätzlich erschwert. Als Regierungschef konnte er es sich nicht leisten, über die Regierung herzuziehen oder einen Kurswechsel fordern. Beneš hatte ihm in der Sozial- und Wirtschaftspolitik kaum Steine in den Weg gelegt; Masaryk hatte, abgesehen von gelegentlichen bissigen Kommentaren, nichts getan, um in der Außenpolitik auf Konfrontationskurs zu gehen. Die Kommunisten hatten wenig Schwerpunkte, mit denen sie ein Programm für ihren Wahlkampf formulieren konnten. Das schlimmste Unheil drohte jedoch von Stalin. Der sowjetische Staatschef war nicht nur immer noch unglücklich über das Gezerre um den Marshallplan, sondern ihm missfielen auch Gottwalds Verweise auf einen tschechoslowakischen Sonderweg zum Sozialismus, und er war nicht in der Stimmung, entmutigende Nachrichten über die

Weitere Kostenlose Bücher