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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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die kroatische Küstenstadt Opatija, wo wir uns, wie ich gestehen muss, im Hotel Moskau einquartierten, das zu Ehren Stalins so benannt worden war. Wir machten keine Bootsausflüge, weil die Adria im Krieg vermint worden war und niemand mit Sicherheit sagen konnte, ob man inzwischen sämtliche Sprengkörper entfernt hatte. Im August fuhren wir
nach Bled in Slowenien, wo wir an einem See Urlaub machten. Dort freundete ich mich mit einem Jungen an, der dann ebenfalls für 50 Jahre aus meinem Leben verschwand. Nach meinem Eintritt in die US-Regierung erhielt ich ein Bild von uns beiden in Bled mit einer Notiz, auf der stand, dass er inzwischen Gerichtsmediziner in Jacksonville, Florida, sei.
    Autorin mit Nidza Jankovic und Kathy Korbelová, Belgrad
    Wieder in Belgrad, wurde ich ständig beaufsichtigt, obwohl ich inzwischen zehn Jahre alt war. Mein Benehmen war, ganz wie das von Goldlöckchen in der Geschichte mit den drei Bären, weder rundum gut noch rundum schlecht. Größere Schwierigkeiten blieben mir erspart, bis auf einmal, als ich auf einer Party war, die viel länger als angenommen dauerte. Meine Eltern, die nicht wussten, wo ich war, gerieten in Panik. Als ich endlich zuhause aufkreuzte, war mein Vater so wütend, wie ich ihn noch nie erlebt hatte – zur Strafe gab er mir drei Tage Stubenarrest, nur zum Unterricht und Klavierspielen durfte ich mein Zimmer verlassen. Während meiner Strafe
machte er die ganze Zeit ein finsteres Gesicht; meine Mutter ließ mir unterdessen heimlich Himbeeren zukommen.
    Im Juni 1947 wurde meinem Vater für seinen Beitrag zur Befreiung der Tschechoslowakischen Republik ein Orden verliehen, den Jan Masaryk überreichte. Inzwischen widmete er sich voller Engagement der Aufgabe, die Freiheit des Landes zu bewahren. Aus unserer Sicht in Belgrad gab es allen Grund zur Sorge. Im März hatten die Vereinigten Staaten die Truman-Doktrin verkündet, in der sie versprachen, Ländern zu helfen, denen eine bewaffnete Subversion drohte. Der militärische Beistand für die Türkei und Griechenland stieg dadurch sprunghaft an. Jahrelang hatte Stalin den Westen provoziert, ohne dass eine nennenswerte Antwort gekommen wäre. Jetzt unternahm Truman selbst einige Schritte, und es erschien wahrscheinlich, dass der Kreml zurückschlagen würde.
    Politisch hielt mein Vater sich für »einen Mann der Linken«. Er war durch und durch Demokrat, glaubte aber darüber hinaus, dass Regierungen die Benachteiligten der Gesellschaft unterstützen müssen. Das war so sehr Teil seiner Identität, dass er noch Jahre später bei meiner Trauung schelmisch darauf bestand, dass wir unseren Gang durch das Kirchenschiff mit dem linken Bein begannen. Allerdings ließ er sich nie von dem Sirenenruf des Kommunismus verführen. Seine Skepsis vertiefte sich in Belgrad noch, wo ein Blick aus nächster Nähe ihn überzeugte, dass das sowjetische System gravierende Konstruktionsfehler hatte. Erstens funktionierte die Wirtschaft nicht, weil Menschen Anreize brauchten, um produktiv zu arbeiten. Das erklärte etwa, warum man zuließ, dass ausgezeichnete jugoslawische Trauben und albanische Orangen auf dem Weg zum Markt verrotteten; es gab keinen Lohn für effektives Arbeiten. Zweitens bestanden kommunistische Parteiführer darauf, dass der Klassenkampf die Antwort auf jede Frage gebe, bis hin zum Ausschluss solcher Faktoren wie Religion und Nationalgefühl. Schließlich waren die Kommunisten allzu dogmatisch, und es fehlte ihnen an eben jener intellektuellen Kreativität, die mein Vater schätzte. Sie wurden belehrt, nicht selbst zu denken, sondern auswendig zu lernen und wie Papageien das zu wiederholen, was man ihnen beigebracht hatte. Das führte direkt zu jener Art von Exzessen, an denen
jedes Einparteiensystem krankt: zentralisierte Kontrolle jeder Einrichtung, Indoktrinierung der Jugend und Überhöhung eines einzigen kollektiven Ziels über jeden anderen Wert.
    Meine Eltern wuchsen in einer Tradition auf, die großen Wert auf Wissbegierde und humanistisches Denken legte. Zu ihren Lieblingsschriftstellern zählte Karel Čapek, der das Wort »Roboter« prägte und sich über eben jene roboterhaften Verhaltensweisen lustig machte, die der Kommunismus fördert. Wie Čapek selbst schreibt:
    Das erstaunlichste und unmenschlichste am Kommunismus ist dessen mit nichts zu vergleichende Düsterkeit … für ihn gibt es keine mittlere Temperatur zwischen bürgerlicher Frostigkeit und revolutionärer Glut, … und es gibt auf der

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