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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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Welt keine Mittagessen oder Abendessen, sondern entweder die verschimmelte Brotrinde des Bettlers oder die Völlerei des Kapitalisten … 40
    Mein Vater befürchtete, dass die Stalinisten in ganz Europa ein Auge auf die Tschechoslowakei hätten. Ein hoher jugoslawischer Offizier sagte zu ihm: »Ich stimme der Politik Ihrer Regierung nicht zu.… Sie haben zu viele Parteien. … [In meinem Land] führen [die Kommunisten] im Parlament, in der Armee, in der öffentlichen Verwaltung, auf den Kollektivfarmen, in der Industrie – überall. Weil sie im Namen der Nation handeln, … ist das eine demokratische Diktatur.« 41 Mein Vater merkte, wie dieses besondere System funktionierte, als er versuchte, die staatlich kontrollierte jugoslawische Presse zu überreden, über Ereignisse in der Tschechoslowakei zu berichten. Er betrachtete es als einen Teil seiner Aufgabe, ein Bewusstsein für das zu fördern, was sein Land leistete, und beauftragte deshalb seine Mitarbeiter, eine wöchentliche Zusammenfassung an die lokale Nachrichtenagentur zu schicken. Als dieser Versuch keine Früchte trug, beschwerte er sich beim Informationsminister, der sich für das Versäumnis entschuldigte und versprach, die Berichterstattung zu erweitern. Einige Wochen später kehrte der Minister zurück und überreichte meinem Vater mit einem Grinsen ein Päckchen. Es
enthielt einen dicken Ordner mit Ausschnitten und Zitaten – die ausnahmslos die tschechoslowakische Regierung mit Hohn und Spott überschütteten.
     
    W ährend des Krieges hatte Beneš versucht, den Westen zu überzeugen, dass man Stalin trauen könne und dass die Sowjetunion sich im Laufe der Zeit ändern werde. Mitte 1947 wurden seine Memoiren veröffentlicht und entwickelten sich zu einem Bestseller. In seiner charakteristischen Art nahm Beneš darin Lobesworte für Moskau auf, die den Westen erbosten, und umgekehrt für den Westen, die Moskau ärgerten. Der Präsident hatte weder seine optimistische Einstellung noch die Hoffnung verloren, dass sein Land in der Vermittlerrolle eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen beiden Seiten verhindern könnte. Allerdings war er inzwischen von seiner eigenen Analyse nicht mehr ganz so überzeugt. Gegen Ende des vergangenen Jahres hatte er, wie er dem US-Botschafter Steinhardt anvertraute, einen »schweren Kampf« geführt, um sowjetische Agenten und Spione aus seinem Verteidigungsministerium zu vertreiben. Ende 1947 war er zu dem Schluss gelangt, dass Stalin nicht lockerer werde und dass sich die Kommunisten höchstwahrscheinlich nicht zu einer normalen Partei entwickeln würden. Das hieß keineswegs, dass eine marxistische Machtübernahme unvermeidlich war; es hieß vielmehr, dass die Demokraten eine Erneuerung an der Wahlurne bewerkstelligen mussten. Die Wahlen vom Mai 1948 sollten hier entscheidend werden.
    Beneš selbst schwanden allmählich die Kräfte für den Kampf. Im Juli hatte er einen Schlaganfall erlitten, und für den Rest seines Lebens hinkte er. Dieses Ereignis sowie die Symptome einer Arteriosklerose, unter der er schon seit einiger Zeit litt, trugen zu einer Veränderung seiner Persönlichkeit bei, die ihn weniger entschlossen, dafür dickköpfiger machte. Wie es damals üblich war, wurden der Öffentlichkeit Informationen über den Gesundheitszustand des Präsidenten vorenthalten.
    Während die beiden Lager ihre Manöver fortsetzten, waren die Kommunisten mehrfach im Vorteil: bessere Organisation, klare Ziele, Kontrolle der wichtigsten Ministerien und den unerschütterlichen
Rückhalt der Sowjetunion. Vor allen Dingen stand es in ihrer Macht, andere einzuschüchtern. Ob jemand Kabinettsminister oder Dorfbeamter war, ein angesehener Kommunist genoss Protektion; sobald es zu Schwierigkeiten kam, würden die alarmierten Parteiaktivisten die Basis mobilisieren. Die Demokraten appellierten an ihre Landsleute, die Augen aufzumachen, zu erkennen, dass die Kommunisten, die einst mit ihrem Widerstand gegen den Faschismus prahlten, nunmehr dessen Methoden nachahmten. Dort, wo früher Hitler-Porträts gehangen hatten, wurden jetzt Stalin-Porträts aufgehängt; Hammer und Sichel hatten das Hakenkreuz abgelöst. Die Kommunisten manipulierten genau wie die Nationalsozialisten die Presse, verleumdeten politische Rivalen, verlangten von ihren Mitgliedern bedingungslose Loyalität und drohten jedem, der ihnen im Weg stand.
    Dennoch gab es im Herbst ein paar positive Anzeichen. Ein von den Kommunisten befürworteter Vorschlag, die

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