Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
die Rolle, die er, wenn auch Achsel zuckend, nicht lächelnd, angenommen hatte, seit Beneš zum ersten Mal das Schicksal der Tschechoslowakei mit Stalin verknüpft hatte.
Diese anfällige Strategie wurde zunichtegemacht, als der Botschafter in Washington Juraj Slavík am 2. März zurücktrat und in einer dramatischen Erklärung die Regierung Gottwald diffamierte.
Masaryk und Slavík waren befreundet; die Kommunisten würden den Rücktritt mit Sicherheit gegen den Außenminister verwenden, und das taten sie auch. Von dem Tag an wurde er außer von seinem langjährigen Leibwächter noch von zwei finster blickenden Gestalten aus dem Innenministerium beschattet. Masaryk mahnte Davenport, das Land zu verlassen; er fürchtete, dass man sie verhaften könnte, womöglich unter der Anklage, für die USA zu spionieren. Widerwillig stimmte sie zu und buchte einen Flug für den 7. März. Am Vorabend kam er zu ihr in die Wohnung. Sie schrieb später darüber:
Er kam um halb neun. Er sah absolut gespenstisch aus. In jenen Tagen hatte er immer eine erschöpfte, lehmähnliche Blässe gehabt, aber an jenem Abend war er noch grauer im Gesicht. Er kam von Sezimovo Ùstí, wo er mit Beneš gegessen und den Nachmittag verbracht hatte. Er erzählte mir nicht, was dort passiert war. … Ich sah nur, dass er ganz aufgelöst war. Er murmelte: »Beneš…« 54
Masaryk war außerstande, den Satz zu vollenden. Das Paar saß eine Weile nebeneinander und redete nicht viel. Er sagte ihr, sie solle nach ihrer Ankunft in London in der Nähe ihres Hotels bleiben. Sie werde schon bald, in ein paar Tagen, von ihm hören. Ihrem englischen Freund Bruce Lockhart solle sie von seinem Vorhaben zu fliehen erzählen. Es wurde spät, und Masaryk erhob sich und quälte sich in den alten zimtfarbenen Mantel, den er in jenen winterlichen Tagen trug. Sie sagten Lebewohl zueinander; sie horchte, während er die Treppe hinunterstapfte, sah dann aus dem Fenster, als seine Wächter auf dem kurzen Weg den Hügel aufwärts zum Černín Palais an seine Seite traten.
D ie Ausläufer von Gottwalds politischem Netzwerk reichten bis in die tschechoslowakische Gesandtschaft in Belgrad. Einen Tag vor dem Putsch hatte der Stellvertreter meines Vaters Arnošt Karpišek ihm einen Telegrammentwurf vorgelegt, den Mitglieder des neu gegründeten Aktionskomitees der Botschaft unterschrieben hatten: Sie
bekundeten darin ihre Unterstützung für Stalin und die kommunistische Partei. Karpišek bat den Botschafter, das Telegramm nach Prag weiterzuleiten und seinen eigenen Namen darunterzusetzen, damit es offiziell wurde. Mit hochrotem Kopf und schäumend vor Wut zerknüllte mein Vater das Papier, warf es weg und ermahnte Karpišek, dass die Botschaft lediglich Beneš und der Verfassung zur Loyalität verpflichtet sei.
Als die Meldung eintraf, dass Gottwald bei der Auseinandersetzung mit den demokratischen Ministern die Oberhand gewonnen hatte, hielt mein Vater instinktiv als Erstes nach Beistand Ausschau. Er setzte sich mit Charles Peake in Verbindung, dem britischen Botschafter in Belgrad, und bat ihn um ein privates Treffen. Beide Männer trafen Vorkehrungen, damit sie nicht überwacht wurden. Mein Vater sagte, unsere Familie könnte gezwungen sein, in Großbritannien Asyl zu suchen; er glaubte nicht, dass er im Amt bleiben konnte, geschweige denn wollte, wenn die Kommunisten an der Macht waren. Vor Gottwald hatte er keine Angst, befürchtete aber, dass schon bald radikalere Elemente die Kontrolle übernehmen könnten. Bei seinem Besuch in Prag zu Beginn des Monats hatte er dem Regierungschef gesagt, dass das Land in Belgrad möglicherweise besser von einem Kommunisten vertreten werde. Gottwald erwiderte, dass eine UN-Kommission gebildet werde, um eine Lösung für den gewaltsamen Konflikt um Kaschmir zu finden, eine Provinz, die reich an Bodenschätzen war und auf die Indien und Pakistan Anspruch erhoben. Die Tschechoslowakei zählte zu den Kommissionsmitgliedern. Gottwald deutete, unterstützt von Masaryk, an, dass mein Vater der geeignete Mann für die Vertretung des Landes in diesem Gremium sein könnte.
Noch am selben Abend schickte der britische Botschafter ein »äußerst dringendes – streng geheimes« Telegramm nach London:
[Korbel] und seine Familie sind in großer Not. Er sagt mir, dass er inzwischen streng überwacht und beschattet werde, sobald er die Botschaft verlässt. … Seit ich vor 18 Monaten diesen Posten antrat, habe ich beobachtet, dass er
Weitere Kostenlose Bücher