Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Plan lief, wären die Juden verschwunden, und die Gegend könne wiederum von Deutschen besiedelt werden.
Ich besichtigte Terezín während meiner Amtszeit als US-Außenministerin und später im Frühjahr 2011. Die Anlage besteht aus zwei Teilen. Die kleine Festung, im Laufe ihrer Geschichte zugleich Wachhaus und Gefängnis, sieht genauso aus, wie man es erwartet: so kalt, düster und hart wie der Beton auf den Fußböden und das Eisen der Gitterstäbe. Den Besuchern wird die Geschichte des Ortes erzählt, zunächst als Heimat einer Einheit Kanoniere unter Joseph II., im Ersten Weltkrieg dann als Gefängnis für über 2500 politische Gefangene, insbesondere Gavrilo Princip, den Mörder des Erzherzogs Ferdinand. In den Jahren der Unabhängigkeit war hier ein Korps tschechoslowakischer Artilleristen stationiert, danach kamen die Deutschen, die die Festung vom Juni 1940 an als einen Ort für den Gewahrsam, die Folter und häufig Hinrichtung angeblicher Feinde des Reiches nutzten. Dazu zählten Anführer der patriotischen Turnerverbände Sokol, Teilnehmer an Studentenprotesten, Saboteure und andere, die Flüchtlinge versteckt oder in anderer Weise den Unwillen der NS-Behörden erregt hatten. Die Festung strahlt eine so grausame Aura aus, dass man sich, wenn man in einer Zelle steht, ohne weiteres vorstellen kann, wie in einem engen Raum so viele Gefangene eingepfercht waren, dass sie sich nicht einmal hinlegen konnten.
Im Gegensatz dazu sieht das sogenannte Ghetto von Theresienstadt überhaupt nicht wie ein Konzentrationslager aus. Es ist von keinen dicken Mauern umgeben, es gibt weder finstere Kerker noch verrostete Ketten. Heute ist das tschechische Terezín wieder eine Stadt, wenn sie auch kaum 3000 Einwohner zählt. Die Gebäude, in denen man einst die Ghettobewohner zusammengepfercht hatte, sind wieder sauber und gepflegt; das Gras wächst dicht und grün. Ein Gefühl des Schmerzes und der Verzweiflung stellt sich nicht so ohne weiteres ein. Vermutlich passt das zu einem Ort, der als Kurort ausgegeben wurde. Entsprechend unterstreichen die Schrifttafeln, die für das Denkmalprojekt Terezín zusammengestellt wurden, die verschiedenen Aspekte des früheren Daseins: das Eisenbahndepot, das Männerwohnheim, die Kasernen, der Sitz der Verwaltung, das Krematorium. Zu sehen sind dort auch die alten
Koffer und Kleider, die Ankunfts- und Abfahrtskarteien, die Kunst und Musik, Zeitungen und, wohl das bedrückendste Erlebnis, Aufnahmen der Kinder.
Bild 13
Terezín (Theresienstadt)
Die ersten tschechischen Juden trafen im November 1941 in Theresienstadt ein. Es handelte sich um Facharbeiter, deren Aufgabe es war, die alte Festungsstadt auf die neue Funktion vorzubereiten. Bis zum Jahresende trafen mehr oder weniger wöchentlich Züge ein. Ursprünglich war das Ghetto zwar ausschließlich für die Juden des Protektorats gedacht gewesen, aber die Nationalsozialisten schickten bald auch deutsche, österreichische und später holländische und dänische Juden dorthin, denn da Theresienstadt öffentlich als eine selbstverwaltete Kurgemeinde beschrieben wurde, gab sich Eichmann zuversichtlich, dass Theresienstadt es ihnen gestatten werde, im Ausland den Anschein zu wahren. 82
Bild 14
Jozef Gabčík
Es dauerte nicht lange, bis die NS-Behörden ihr Versprechen brachen, dass die Einrichtung als dauerhafter Wohnsitz dienen solle. Aus den Unterlagen geht hervor, dass die jüngere Schwester meines Großvaters Irma (Körbel) Paterová aus meiner Familie als Erste dorthin geschickt wurde. Sie kam am 10. Dezember mit ihrem Mann Oskar und ihrer 28-jährigen Tochter Herta an. Fünf Wochen danach waren die drei unter den Menschen, die in unbeheizten Viehwaggons bis in die von den Deutschen besetzte, lettische Hauptstadt Riga transportiert wurden – im Jahr zuvor Schauplatz schrecklicher Pogrome. Dort wurden die Deportierten ausgeladen und in einen nahe gelegenen Wald gebracht, wo sie erschossen wurden.
Im Sommer 1941 hatte der tschechische Untergrund seinen Druck auf die NS-Besatzer verstärkt. Im September schlugen die Deutschen zurück. Jetzt war Beneš wieder an der Reihe. Heydrichs Terrorkampagne forderte eine dramatische Antwort geradezu heraus, etwas Denkwürdiges, das die Alliierten überzeugte, dass die Tschechen und Slowaken nicht mit sich spaßen ließen. Hinter verschlossenen Türen schlug der Präsident »eine spektakuläre Aktion gegen die Nazis« vor, »einen Anschlag, der unter absoluter Geheimhaltung von
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