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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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Marie oder »Tantchen«,
wie sie sie nannten, um etwas Anderes: ein Stück Seil, ein Versteck für einen Sender, ein Fahrrad, dessen Rahmennummer herausgefeilt war.
    Der kleine Ota war in Wirklichkeit Gabčík; der große Ota Kubiš; und Zdenda war Sergeant Josef Valčík, ein Funker, dessen Team in der gleichen Nacht wie die anderen beiden unabhängig von ihnen eingeschleust worden war. Anfang April stieß Leutnant Adolf Opálka zu ihnen, der leitende Offizier einer Gruppe, die Ende März mit dem Fallschirm angekommen war. Er wurde von einem Mann namens Vrbas begleitet, dessen Geburtsname, der später zum Symbol für Verrat werden sollte, jedoch Karel Čurda lautete.
    Die Fallschirmspringer konnten über einen Sender, den sie im Dorf Pardubice aufgestellt hatten und der von anderen Mitgliedern des Teams bedient wurde, mit London kommunizieren. Kuriere waren zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs und beherrschten eine ganze Reihe besonderer Klopfzeichen, Passwörter und Chiffren. Jede Botschaft wurde, sobald sie entschlüsselt wurde, mit einer identischen Bedeutung, aber anderen Wörtern nochmals abgeschrieben, so dass man mit ihrer Hilfe nicht den Code knacken konnte, auch wenn sie abgefangen wurde. In manchen Fällen stammten die Anweisungen von Beneš persönlich.
    An einem Morgen Ende April bat Frau Moravcová ihren Sohn, Zdenda bei einem Ausflug zu begleiten, um einen Leitstrahlsender zu bergen, den ein kurz zuvor eingetroffenes, anderes Fallschirmspringerteam versteckt hatte, weil sie bei der Landung Probleme gehabt hatten. Bevor die beiden ihren Auftrag ausführen konnten, entdeckte ein tschechischer Polizist sie und warnte die beiden, sich möglichst schnell aus dem Staub zu machen, weil es in der Gegend von Deutschen nur so wimmele. Der über die knappe Rettung ganz aufgebrachte Ata wurde durch eine Warnung Zdendas noch stärker erschüttert: »Siehst du die Holzkiste da drüben, Ata? Die Hunnen sind imstande, sie so heftig zu prügeln, dass sie anfängt zu reden; aber wenn sie das mit dir machen, dann darfst du nichts sagen, kein Wort, hast du verstanden?« 3
    Das Ziel der Operation Anthropoid sollte zwar ein Geheimnis sein, aber viele Persönlichkeiten im Untergrund ahnten, was geplant
war. Es kam zu einer heftigen Diskussion unter den Fallschirmspringern, die ihre Befehle hatten, und den Führern vor Ort, die fürchteten, dass die Mission, ob sie nun Erfolg hatte oder nicht, ihre eigenen Anstrengungen zum Scheitern verurteilte. Der Widerstand schickte London eine Botschaft und drängte, die Operation abzusagen oder zumindest ein nicht so provokatives Angriffsziel in den Blick zu nehmen. Am 15. Mai hielt Beneš auf BBC eine Ansprache und es sah ganz so aus, als würde er hiermit eine Antwort geben:
    In einer solchen Lage könnten auch bei uns Gewaltakte, Revolten, direkte Aktionen, Sabotageakte und Kundgebungen wünschenswert oder unerlässlich werden. Das wäre vom internationalen Standpunkt aus für den Fall eventueller Verhandlungen eine Erleichterung oder sogar die Rettung, auch wenn es große Opfer kosten würde. 4
    Die Anweisung schien eindeutig: Der Countdown läuft. In London lautete die Devise: Jetzt, wo Beneš eine öffentliche Stellungnahme abgegeben hatte, keine schlafenden Hunde wecken. Am 21. Mai erhielt mein Vater eine nicht unterschriebene Notiz auf einem unlinierten Bogen Papier: »BBC-Sendungen erregen zu viel Aufmerksamkeit auf Sabotageakte. … Die Sabotage geht weiter, aber je weniger darüber gesagt wird, desto besser.« 5 In Prag musste sich das Team beeilen; aus der Burg kam die Information, dass das Angriffsobjekt in Kürze zu einem neuen Posten in Frankreich abreisen werde.
     
    Am Abend des 26. Mai 1942 eröffnete Heydrich die Prager Musikwochen, mit einem Werk der Kammermusik, das sein Vater komponiert hatte; der stolze Sohn schrieb die Kommentare im Programm. Es war ein denkwürdiger Moment.
    Am nächsten Morgen, einem Mittwoch, wurde der Stellvertretende Reichsprotektor von seinem Gut zum Büro in Prag gefahren. Trotz der Warnungen aus Berlin fuhr er ohne Polizeieskorte, weil er glaubte, dass kein Tscheche so närrisch sein würde, ihn anzugreifen. Sein Chauffeur fuhr den offenen Mercedes-Tourenwagen dennoch
mit hoher Geschwindigkeit, bis er gezwungen war, vor der Haarnadelkurve abzubremsen. Opálka und Valčík, die weiter oben Wache gestanden hatten, signalisierten die Ankunft. Als der Wagen in die Kurve einbog, trat eine Gestalt an den Straßenrand, schüttelte den

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