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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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sie sich einmal nach draußen wagten, wurden sie an jeder Straßenecke von dem Schild »Für Juden nicht zugänglich« aufgehalten. Da ihnen die Freiheit und der Besitz geraubt wurden, konnten jüdische Familien nichts Anderes zu tun, als miteinander in Kontakt zu bleiben und abzuwarten, bis ihre Namen aufgerufen wurden. Theresienstadt? Jeder hatte bereits Gerüchte gehört, aber keiner wusste genau, wie das Leben dort aussehen würde.
    Für meine Großeltern hatte das Warten am 22. Juli 1942 um 9.45 Uhr ein Ende. Die Einberufung wurde von der Leitung der jüdischen Gemeinde übergeben. Arnošt und Olga blieb eine Woche, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Meine Großmutter schrieb sofort an ihre Tochter Greta:
    Bild 29
    Arnošt Körbel mit Drolik und Alena Körbelová
    Ich muss mich erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass wir wirklich gehen. Ich werde mir die Haare waschen … ein bisschen einkaufen und … das Haus putzen. Am Abend werde ich einen Teig für das Brot zubereiten, das ich am Morgen backen will … Wenn wir einmal dort [in Theresienstadt] sind, beruhige ich mich hoffentlich ein wenig. Gerade bin ich überhaupt nicht ruhig. In Wirklichkeit war ich schon seit langem nicht mehr ruhig … Ich möchte dich, meine liebe Gretitschka, bitten, deine Kraft nicht mit Sorgen um uns zu verschwenden. Du wirst sie für dich brauchen. Ich verspreche, dass ich einen starken Überlebenswillen habe. Irgendwo, in einem fremden Land, werden wir uns wiedersehen. 32
     
    Sie fügte hinzu, dass sie hoffte, mit Kindern arbeiten zu können, aber nur als Aufseherin, »weil es mich sonst zu sehr anstrengen würde«. Arnošt hatte man bereits befohlen, Drolik in das Tierheim zu bringen, in dem alle Haustiere von jüdischen Familien gesammelt wurden. »Vater wird es schwerfallen«, schrieb sie. »Ihm wird ganz elend sein, aber auch mich macht das sehr traurig.« 33
    Meine Großeltern taten alles, was sie konnten, um sich auf das neue Kapitel in ihrem Leben vorzubereiten, Unzählige Nachbarn und Freunde statteten Abschiedsbesuche ab, darunter auch einige, die davon ausgingen, dass man sie zum Abendessen einladen würde. Da es ihnen erlaubt war, etwa 50 Kilogramm Gepäck mitzunehmen, wählten die Großeltern sorgfältig aus und versuchten, so viele warme Sachen wie möglich mitzunehmen. Am Tag vor der Abreise schrieb Olga noch einmal an Greta:
    Den ganzen Tag über kamen Besucher. Jetzt ist es halb elf abends. In der Wohnung herrscht ein Chaos. Ich habe mich um alles gekümmert … Gretitschka, meine einzige Tochter, bleib gesund. Ich segne dich, meinen lieben Rudolf und Milena. Denkt daran, meine ersten und letzten Gedanken werden bei euch sein, meine Kinder. Ich bin stark und glaube, dass wir uns irgendwo wiedersehen werden. Ich küsse dich herzlich, deine Mutter. 34
    Immerhin gab es noch eine letzte gute Neuigkeit: Der Hund war in Sicherheit. Ein Nachbar, der Drolik nach der Ausgangssperre für Juden Gassi geführt hatte, hatte den Behörden hoch und heilig versichert, das sei sein Hund.
     
    Alle aus Prag nach Theresienstadt einberufenen Personen wurden angewiesen, sich in einer alten Kaserne auf einem Messegelände nicht weit vom Bahnhof zu versammeln. Dort mussten sie eine bürokratische Prozedur über sich ergehen lassen, die in der Regel zwei volle Tage dauerte, oder mehr. Die Deportierten, gleich ob jung ob alt, schliefen auf Strohmatten, wenn sie nicht gerade Schlange standen oder irgendwelche Formulare ausfüllten. Die Beamten befahlen
ihnen, ihre Ausweise, Hausschlüssel, Bezugsscheine und Wertgegenstände auszuhändigen.
    Bild 45
    Einzug ins Ghetto
    Am Morgen des 30. Juli verließ der Zug mit der Bezeichnung »AAv« den Prager Bahnhof. An Bord waren 938 Menschen: Olga hatte die Nummer 451, Arnošt 452. Die Reise aus einem Universum in ein anderes dauerte zweieinhalb Stunden und führte durch Hopfenfelder, Obstbaumplantagen und vorbei an dem Berg Rip mit seiner runden Kuppe, auf dem vor langer Zeit der mythische Urvater Tschech seinem Volk ein Land, »wo Milch und Honig fließen«, versprochen hatte. Die Insassen kamen bei strömendem Regen in Theresienstadt an, sammelten ihre Habseligkeiten ein und schleppten sich die gut drei Kilometer bis zum Eingang des Ghettos.
    Das Gefangenenleben begann mit noch mehr Bürokratie: Weitere Formulare mussten ausgefüllt werden, und noch mehr Hände durchwühlten das Gepäck nach Schmuggelware und Wertgegenständen. Am Ende wurde ihnen eine Unterkunft zugewiesen. Großvater

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